Alterra. Im Reich der Königin
stieß Tobias plötzlich hervor.
»Was denn?«
»Die Gangway liegt nicht mehr am Ufer auf.«
Im gleichen Augenblick sahen sie, dass die Anker gelichtet und die Segel gesetzt worden waren.
»Sie legen ab!«, rief Tobias und sprang auf.
Das Schiff entfernte sich langsam vom Ufer.
Tobias ließ alle Vorsicht fahren und blieb weithin sichtbar auf dem Kai stehen. Er konnte nicht fassen, dass sie zu spät gekommen waren.
Matt wurde nach Süden verschleppt.
Zu Malronce.
29. Eine Geheimwaffe
D ie Segel rauschten leise, als sie sich mit Wind füllten. Es klang, als würden sie genießerisch die frische Luft einsaugen. In der Stille der Nacht kam Roger dieser Moment geradezu verwunschen vor.
Er kniete auf dem Mars des Fockmasts, der sich zwölf Meter über dem Hauptdeck befand. Von dieser Warte aus hatte er die Uferstraßen und den äußeren Festungsring, durch den sie die Stadt verlassen würden, gut im Blick.
Als Erster Offizier und Anführer der Sicherheitskräfte an Bord zog er es vor, entscheidende Manöver von oben zu verfolgen.
Einige Sekunden lang schien ihm, als sehe er jemanden mit einem Bogen über der Schulter am Kai stehen. Dann verschwand die Gestalt in der Dunkelheit, und Roger vergaß sie sofort wieder. Was in Babylon vor sich ging, brauchte ihn nun nicht mehr zu kümmern.
Auf diesem Schiff waren sie in Sicherheit.
Roger und seine Männer kannten jeden Winkel der
Charon
wie ihre Westentasche, und sie hatten mehr als genug Waffen an Bord. Da sollte nur mal einer versuchen, sie anzugreifen!
Gleich darauf ärgerte er sich über sich selbst. Wie zum Teufel kam er nur auf die Idee, dass ihnen Gefahr drohte? Warum sorgte er sich um ihre Sicherheit? Sie waren doch bis jetzt noch nie angegriffen worden …
»Wir hatten eben noch nie eine so wichtige Mission«, sagte er laut.
Diese Reise war etwas Besonderes. Sie hatten einen wertvollen Passagier an Bord.
Roger griff nach der Want und kletterte auf das Hauptdeck hinunter, um sich zu vergewissern, dass alles in bester Ordnung war. Langsam segelten sie zwischen den Wachtürmen hindurch, die die südliche Grenze des Stadtgebiets markierten.
Auf dem Turm, der ihnen am nächsten war, beugte sich ein Wachmann über die Zinnen und schwenkte eine Laterne, um ihnen gute Fahrt zu wünschen.
Alles lief wie am Schnürchen, stellte Roger zufrieden fest. Wie immer.
Das bange Vorgefühl, das ihn beim Ablegen beschlichen hatte, war einfach lächerlich. Dass der Junge an Bord war, würde nichts am Fortgang ihrer Reise ändern.
Da erschien der spirituelle Berater der Königin an Deck. Mit seinem bodenlangen schwarzen Gewand und der stählernen Haube war er nicht zu übersehen.
»Schöne Nacht für eine Flussfahrt«, bemerkte Roger, um das Schweigen zu brechen.
»Die Flussfahrt ist mir gleichgültig. Ich will so bald wie möglich in Wyrd’Lon-Deis sein, um unserer Königin das Kind zu bringen, das sie schon so lange sucht. Wir werden doch schneller vorankommen als auf dem Hinweg?«
»Selbstverständlich, wir fahren ja flussabwärts. In weniger als drei Tagen werden wir in Henok sein – falls wir die Stadt vor Einbruch der Dämmerung erreichen. Wenn nicht, müssen wir noch eine Nacht warten, bevor wir einfahren können, wegen der Schattenfresser. Für den Transport durch die Steilen Schleusen müssen wir zwölf bis vierundzwanzig Stunden rechnen. Fünf Tage später werden wir vor Ihrer Majestät erscheinen können.«
»Neun Tage! Das ist ja eine halbe Ewigkeit!«
»Sagen Sie, Erik, ist dieses Kind tatsächlich der gesuchte Junge?«
»Ohne jeden Zweifel.«
»Und ist er wirklich so wichtig, wie es immer heißt?«
»Das ist Sache der Königin, dazu kann ich nichts sagen.«
»Hat es mit der Hautjagd zu tun?«
»Du bist doch sonst nicht so neugierig, Roger, was ist denn in dich gefahren?«
»Nichts, nichts, es gehen eben Gerüchte um, das ist alles.«
»Was für Gerüchte?«
»Nun ja, manche munkeln, dass dieses Kind uns die ersehnte Erlösung bringen wird. Da wollen wir es natürlich nicht verlieren.«
»Das wird ganz gewiss nicht passieren! Schärfe deinen Männern ein, doppelt wachsam zu sein. Am besten, ihr geht nicht in unbewohnten Gebieten vor Anker und umfahrt die Verseuchten Sümpfe vor Wyrd’Lon-Deis, auch wenn wir dadurch Zeit verlieren.«
»Sie können sich auf uns verlassen.«
»Und den Hund habt ihr in den Frachtraum gesperrt?«
»Ja, in einen großen Käfig ganz vorne am Bug. Die Wunde an der Seite scheint ihn zu quälen, er leckt sich
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