Alterra. Im Reich der Königin
Orange und Blau verstärkten das kunterbunte Durcheinander noch. Sogar die Bonbongläser, die hie und da in kleinen Nischen aufgestellt waren, schillerten in unzähligen Farben. Tobias stibitzte einen Lutscher und rief Ambre begeistert zu:
»Die sind noch richtig lecker! Was für ein Schlaraffenland!«
Ambre rümpfte misstrauisch die Nase.
»Ich denke da eher an das Lebkuchenhaus der bösen Hexe, die hinter der Tür auf ihre Beute lauert, um sie in den Ofen zu stecken oder irgend so was Abartiges.«
Als sie ganz oben angekommen waren, brannten ihnen die Waden, und sie waren völlig aus der Puste. Colin wies auf eine mit blauem Schaumstoff überzogene Sitzbank, auf der sie warten sollten, und verschwand durch eine große Tür.
»Was für eine Gegenleistung können wir ihm denn anbieten?«, fragte Tobias. »Geld haben wir nicht, und was anderes fällt mir auch nicht ein.«
Ambre hatte wieder ihre düstere Miene aufgesetzt.
»Mach dir darüber mal keine Gedanken«, sagte sie ausweichend.
Da ging die Tür auf, und Colin winkte sie zu sich.
»Er ist bereit, euch eine Audienz zu gewähren.«
Sie betraten einen langen, schmalen Raum. Ein Läufer aus lila Samt mit goldenen Bordüren erstreckte sich bis ans andere Ende des Zimmers, wo ein kleiner Tisch und ein Sessel mit einer drei Meter hohen Rückenlehne standen.
Auf dem Sitz kauerte ein hageres Männchen mit einem dünnen weißen Schnurrbart, dicht beieinanderstehenden Augen, einer schmalen, spitzen Nase und einer hohen Stirn, auf der eine rote, einem Kardinalshut ähnliche Mütze saß.
»Hier sind sie, Herr«, sagte Colin mit einer tiefen Verbeugung.
Der Unschuldstrinker reckte seinen langen dünnen Hals und musterte die Besucher herablassend.
»Kommen Sie näher«, befahl er, »damit ich Sie besser sehen kann.«
Als er feststellte, dass er keine Erwachsenen vor sich hatte, entspannte er sich und zeigte sogar den Anflug eines Lächelns.
»Wer schickt euch?«, fragte er.
»Niemand«, erwiderte Ambre. »Wir kommen in eigener Angelegenheit. Wir möchten Sie um einen Dienst bitten. In der Stadt hat man uns gesagt, dass es so gut wie nichts gibt, was Sie nicht arrangieren können.«
»Ja, ganz richtig. Und was wünschen zwei so junge Leute hier in Babylon?«
»Ein Freund von uns wurde heute Nacht auf einem Schiff Richtung Süden verschleppt, und wir müssen ihm so schnell wie möglich folgen.«
Das Lächeln des Unschuldstrinkers gefror.
»Ach, nichts weiter als das? Das kann nur die
Charon
gewesen sein, das Schiff des spirituellen Beraters der Königin. So jemandem jagt man nicht so einfach hinterher!«
»Er hat unseren Freund gefangen genommen, weil er der Junge ist, dessen Gesicht in der Stadt an jedem Laternenpfahl prangt. Er ist das Kind, das Königin Malronce überall suchen lässt!«
»Und was geht mich das an?«
»Wenn die Königin eine so hohe Belohnung für seine Ergreifung ausgesetzt hat, muss er in ihren Augen von großer Bedeutung sein. Wir dachten uns, dass Sie ihn vielleicht sehen wollen, bevor Malronce ihn in ihrer Festung einsperrt?«
Der Unschuldstrinker schürzte die Lippen und kratzte sich am Kinn.
Tobias nutzte die Pause, um Ambre ins Ohr zu flüstern:
»Was machst du da? Wir werden Matt doch nicht diesem Verrückten ausliefern?«
»Kommt Zeit, kommt Rat«, wisperte sie in ihrem geheimniskrämerischen Ton zurück. »Erst einmal müssen wir Matt aus den Fängen der Soldaten befreien.«
»Was bietet ihr mir dafür?«, fragte der Unschuldstrinker.
»Wenn Sie …«, begann Ambre.
»Genug geredet!«, unterbrach er sie. »Legt auf diesen Tisch, was ihr mir im Tausch gegen meine Hilfe bieten könnt. Das ist der Gabentisch. Dieser Schritt besiegelt unseren Pakt.«
Verwirrt zögerte Ambre einen Moment. Dann fuhr sie fort, als hätte sie nichts gehört:
»Sie helfen uns, das Schiff einzuholen und unseren Freund zu befreien, und dafür erzählen wir Ihnen danach alles, was Sie wissen wollen. Unsere Auskünfte werden wertvoll genug sein, um sie in der Stadt zu Geld zu machen.«
»Ich soll mich ganz offen gegen Malronce stellen? Ha, ein brillanter Vorschlag!«, spottete er.
»Das ist alles, was wir haben! Aber wenn die Königin ihn so unbedingt festnehmen will, dann weiß er wohl etwas, was sonst niemand weiß. Meinen Sie nicht auch?«
Der Unschuldstrinker machte ein säuerliches Gesicht.
»Ein so großes Risiko gehe ich nicht ohne Bürgschaft ein.«
»Wir haben nichts anderes …«, sagte Ambre flehend.
Auf einmal sprang der
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