Alterra. Im Reich der Königin
Hände.
»Siehst du, Tobias, schon haben wir einen Plan.«
Als eine schwarze Wolke vor den Mond zog, standen Ambre, Tobias und Balthazar kurz im Dunkeln.
Mit Hilfe einer Fußpumpe hatten sie das gelbe Schlauchboot schon fast vollständig mit Luft gefüllt. Jedes Mal, wenn Balthazar gerade nicht hinsah, hatte Tobias seine Alteration genutzt und mit doppelter Geschwindigkeit weitergepumpt. Seine Stirn glänzte vor Schweiß, und er war froh über den kühlen Wind, der durch die Stadt wehte.
Die Nacht war bereits weit fortgeschritten. Nahezu alle Lichter der Stadt waren erloschen, bis auf die Laternen der Wachposten und die Lampen hinter den schmalen Fenstern des Turms, an dem der Zeppelin befestigt war.
»Kennen Sie den Unschuldstrinker?«, erkundigte sich Tobias, während er den riesigen Schirm der Qualle über der ehemaligen Universität bestaunte.
Balthazar verkrampfte sich.
»Hattet ihr mit ihm zu tun?«, fragte er erschrocken.
»Nein, ich bin nur neugierig.«
»Ihr braucht nichts über ihn zu wissen. Hauptsache, ihr begegnet ihm nicht.«
»Ist er ein Vertrauter der Königin?«
»Nein, im Gegenteil, der Unschuldstrinker verfolgt nur seine eigenen Interessen. Er geht Bündnisse ein, wenn er sich Vorteile davon verspricht, aber ansonsten hat er für die Königin nicht viel übrig.«
»Also hat er sich sein Gedächtnis ebenfalls bewahrt?«, vermutete Ambre.
»Ich glaube nicht. Erinnerungen und das Wissen um sich selbst sind nicht die einzigen Dinge, die verhindern, dass man zu einer leeren Hülle wird.«
»Was denn noch?«
Balthazar holte tief Luft, bevor er hervorstieß:
»Perversion. Ein Mensch, der von Laster erfüllt ist, nimmt nichts anderes mehr in sich auf. Laster lassen sich nicht so einfach ersetzen. Zu dieser Sorte gehört der Unschuldstrinker. Haltet euch von ihm fern!«
Tobias wollte trotzdem noch mehr über den geheimnisumwitterten Mann wissen, der einen so hohen Turm bewohnte und ein so fremdartiges Luftschiff besaß.
»Er ist sicher sehr mächtig, oder? Sonst würde Malronce ihn doch zwingen, ihr ebenfalls zu dienen?«
»Nun, er knüpft sehr geschickt Kontakte, kennt jedermann und erweist Gefälligkeiten, für die er natürlich eine Gegenleistung verlangt. Wer einmal in seiner Schuld steht, kommt nicht mehr von ihm los! Jeder, der etwas braucht, was er sich anderweitig nicht beschaffen kann, lässt sich von ihm helfen.«
»Könnte er auch Matt für uns befreien?«, fragte Ambre.
»Nein!«, schrie Balthazar viel zu laut.
Ambre und Tobias warfen sich zu Boden und warteten mehrere Minuten, bis sie sicher sein konnten, dass keine Patrouille ihn gehört hatte.
»Nein«, wiederholte Balthazar etwas leiser, »der Preis, den ihr dafür zahlen müsstet, wäre zu hoch. Gegen den Unschuldstrinker kann niemand gewinnen.«
Das Boot war bereit, und als der Mond wieder zum Vorschein kam, ließen sie es gemeinsam zu Wasser. Ein Bindfaden diente ihnen als Leine.
»Ich warne euch zum letzten Mal: Lasst es sein!«, sagte Balthazar eindringlich. »Ihr seid frei, ihr könnt immer noch aus der Stadt fliehen!«
»Nicht ohne Matt«, entgegnete Tobias, stieg auf die Leiter an der Kaimauer und kletterte die drei Meter bis zum Fluss hinunter.
Ambre wandte sich noch einmal zu dem alten Mann um.
»Bitte entschuldigen Sie, dass wir heute Nacht heimlich bei Ihnen eingestiegen sind. Vielen Dank für Ihre Hilfe. Wir werden uns wohl nicht wiedersehen.«
Balthazar nahm ihre Hand zwischen die seinen.
»Solltet ihr irgendwann einmal ein Versteck brauchen, wisst ihr ja, wo ihr mich findet. Viel Glück!«
Als die beiden im Schlauchboot saßen, warf er ihnen die Schnur zu, mit der sie es am Kai befestigt hatten, und sie paddelten auf dem trüben Wasser davon.
Nach einer Weile fiel Tobias auf, dass die Ruderblätter von einem klebrigen Schmutzfilm bedeckt waren. Das Boot glitt durch eine dicke Schlammschicht, die den gesamten Fluss überzog.
»Viele Fische kann es unter diesem Zeugs ja nicht geben«, sagte er und verzog angewidert das Gesicht.
»Wahrscheinlich überleben nur die größten und zähsten von ihnen. Ich denke lieber gar nicht dran.«
Glücklicherweise war die Strömung weniger stark, als sie befürchtet hatten, so dass sie nicht allzu weit abgetrieben wurden. Sie hatten am nördlichen Ende des befestigten Uferstreifens abgelegt, um das andere Ufer zu erreichen, bevor sie in Sichtweite der Wachen an der Brücke kamen.
»Sobald wir Matt befreit haben, springen wir zurück ins Boot und lassen
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