Altes Eisen - [Kriminalroman aus der Eifel]
trautes Heim aufsuchen. Frau Klinkenberg wartet bestimmt schon, wir haben bereits bei der Gymnastik gefehlt und auch noch nicht zu Abend gegessen.«
39. Kapitel
Ein kühler Wind wehte über den Burgfelsen und ließ die Freunde frösteln. Die warme Jahreszeit war endgültig vorüber. Bärbel zog ihre Jacke zu. »Das ist ja schon richtig kalt!«
Lorenz nickte zustimmend und ließ seinen Blick über das Rurtal schweifen. Die Sonne beschien die dunklen Wälder, in der Ferne glänzten die Windräder auf der Höhe von Schmidt. Lorenz glaubte sogar auf dem gegenüberliegenden alten Burghügel von Bergstein die Reflexionen eines Fernglases aufblitzen zu sehen. Vermutlich waren Wanderer auf dem Krawutschketurm.
Lorenz lehnte seinen Gehstock an das Geländer, welches die Besucher des Burgfelsens vom gefährlichen Abgrund fernhielt, und machte langsam einige Kniebeugen. Gustav grinste und fasste ebenfalls ans Geländer.
»Wehe, du steigst da rüber«, mahnte Benny lachend.
»Nee, keine Bange, mein holder Knabe«, entgegnete der Alte. »Nicht, solange ich bei Sinnen bin.«
»Aber das weiß man bei dir ja nie, alter Freund«, brummte Lorenz und beendete seine Übungen. Dann zog er etwas aus der Tasche. »Schaut mal her. Eine Ansichtskarte aus Nowgorod. Kloster Jurjew.«
»Sorokin?«, fragte Gustav.
»Wer sonst?« Lorenz hielt den Freunden die Karte hin. »Geschrieben wie ein kurzer Urlaubsgruß. Der schlaue Fuchs. Vielen Dank für die Hilfe, hier ist alles, wie es sein soll.«
Bärbel schaute auf die Karte und den kurzen Text, der in feiner, akkurater Handschrift verfasst war. »Dann hat er also die heilige Lanzenspitze tatsächlich gefunden?«
Lorenz nickte. »Scheint so. Man hat in der Krypta uralte, zu Staub zerfallene Reste einer Schmuckschatulle gefunden, die deutliche Rostspuren enthielt. Irgendetwas aus Eisen muss darin gewesen sein. Vielleicht eine alte römische Speerspitze, wer weiß.«
»Wenn das tatsächlich die Lanze war, mit der Jesus am Kreuz gepiekt worden ist, dann muss das ja irre wertvoll sein«, staunte Benny ehrfürchtig.
»Ach, mein Junge«, seufzte Lorenz. »Es ist so etwas mit den Reliquien. Der Name bedeutet Überbleibsel. Die meisten von uns wünschen sich, dass von uns irgendetwas übrig bleibt. Die Menschen im Mittelalter glaubten, durch den Anblick oder die Berührung der Überbleibsel der Heiligen oder gar von Jesus selbst eine Freikarte in den Himmel zu erlangen. Es ist wohl vor allem die Angst vor der ewigen Verdammnis, der man zu entrinnen suchte. Das steckt dem Christenmenschen auch heute noch in den Knochen. Man will nur allzu gerne an die Wahrhaftigkeit solcher Dinge glauben.«
»Sogar die Buddhisten verehren die Überbleibsel Buddhas, obwohl er selbst das ausdrücklich nicht wollte«, fügte Bärbel hinzu.
Gustav meinte: »Ihr wisst ja, dass unsere Asche hier in den Wind gestreut werden soll. Ansonsten bleibt von mir sowieso nichts.«
Benny dachte an das leere Zimmer des Alten. Dann fiel ihm ein: »Aber deine Kaffeemühle, die können wir doch bestimmt weiterbenutzen, oder?«
Gustav grinste. »Ja, das wäre mir schon recht. Aber wehe, ihr tut meine Asche da rein.«
»Was denkst du von uns«, entrüstete sich Bärbel. »Du wirst hier in deiner Heimat verstreut, und wir trinken jeden Tag einen Kaffee aus deiner alten Mühle, bis es auch uns trifft. Falls du uns nicht sowieso alle überlebst, natürlich.«
»Ich hoffe nicht«, grinste Gustav. »Lorenz, was machen eigentlich deine Enkeltochter und ihr großer Freund?«
»Rita hat ihre Beförderung bekommen. Und Paul hat ein Lob seiner Vorgesetzten erhalten, weil er den Paten eines offenen Verbrechens hat überführen können, und er darf wieder seinen normalen Dienst machen.«
»Aber haben denn nicht eigentlich wir die Fälle gelöst?«, fragte Benny grinsend. »Warum befördert man denn nicht wenigstens den Kommissar Wollbrand?«
Lorenz sah den jungen Pfleger über den Rand seiner Brille an. Dann blickte er ins Tal hinunter und brummte leise: »Der alte Ermittler brauchte keine Beförderungen mehr. Ihm reichte es zu wissen, dass er Freunde hatte, und täglich zu spüren, dass noch Leben in ihm war.«
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