Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Altes Herz geht auf die Reise - Roman

Altes Herz geht auf die Reise - Roman

Titel: Altes Herz geht auf die Reise - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
Vom Netzwerk:
löschte sie Zahl um Zahl. Wie aber eine Zahl nach der andern verging, war es, als breite sich die Schwärze der Tafel im Klassenzimmer aus, und von Zahl zu Zahl ward es dunkler, und schließlich verblieb dem alten Professor nichts wie ein heller Schimmer von ihrer Gestalt.
    »Rosemarie!« rief er verzweifelt. »Was tust du?«
    Da erlosch auch der Schimmer ihrer Gestalt. Und er war ganz allein und fürchtete sich.
    Wiederum war es dem Professor, als läge er in seinem Bett. Er wußte aber nicht, ob er träumte oder wachte. Er hörte ein leichtes Prasseln gegen die Fenster, und aus dem Prasseln rief eine schwache Stimme: »Pate! Wach auf, Pate!«
    Er stand auf aus dem Bett und ging ans Fenster und öffnete es, und ein Schatten im Dunkeln sagte: »Pate, kannst du mir denn nicht helfen?! Jetzt soll ich zur Strafe, weil du gekommen bist, die ganze Nacht Wäsche waschen, und ich bin doch so müde, daß ich die Beine nicht mehr unter meinem Leib spüre.«
    Professor Kittguß aber rief unwillig: »Könnt ihr denn nicht Frieden halten?! Ich bin ein alter Mann und wünsche nur noch Ruhe und Frieden. Du hast mich nun schon hergerufen, in dies unfriedliche Dorf, zu unfriedlichem Volk, und heute nacht hast du mir auch noch meine Gleichung ausgelöscht, so daß ich nichts mehr habe. Wir alle müssen unsere Heimsuchungen und Plagen ertragen, und ich kann dir nicht helfen.«
    Da war es, als weinte der Schatten leise, und dann zerginger in der Nacht. Wo er gestanden hatte, war ein Busch, und traurig schloß der Professor das Fenster, legte sich nieder und quälte sich wegen der harten Worte, die er gesprochen hatte.
    Darüber versank er in tiefen, traumlosen Schlaf, und als er erwachte, war es hell in seinem Zimmer von einer fröhlichen Oktobersonne.
    An seinem Bett aber saß Frau Lowising, sah ihn freundlich an und sagte: »So, Herr Professor, nun frühstücken Sie erst einmal ordentlich, und wenn Sie dann kräftig genug sind, so ziehen Sie sich an, und unser Maxe fährt Sie zur Bahn. Sehen Sie, was wollen Sie sich hier auf Ihre alten Tage noch mit schlechten Leuten plagen und schlagen? Gegen die Schliekers ist noch keiner Herr geworden, so werden Sie’s auch nicht. Die Rosemarie ist auch kein Engel, wenn ihr schon alles Tier- und Kinderzeug anhängt, und daß sie arbeiten lernt, ist ihr nur gut. Wenn Sie aber ganz etwas übriges tun mögen, und Sie haben es und können es, so schicken Sie den Schliekers allmonatlich Geld. Nicht zuviel, dreißig Mark vielleicht, und Sie bedingen sich aus, daß die Schliekers die Marie nett behandeln. Denn für Geld tun die alles, und da bringen sie es vielleicht sogar über sich, nett zu einem Menschen zu sein.«
    Bei Beginn dieser Rede hatte der Professor noch eine deutliche Erinnerung an seinen Traum gehabt und hatte die Frau Louise unterbrechen und fragen wollen, ob Rosemarie wohl wirklich in der Nacht an seinem Fenster um Hilfe gerufen hätte. Aber je weiter die zutunliche Frau mit ihrer Rede kam, um so unwichtiger und unwirklicher wurde der Traum, und was sie sagte, schien ihm alles Hand und Fuß zu haben.
    Wenn er also zuerst noch ein wenig ängstlich und schuldbewußt gefragt hatte: »Meinen Sie das wirklich?« – so war er nach drei Minuten schon fest überzeugt, daß esso das beste sei, und für sein Geld werde es die Rosemarie haben wie im Himmel.
    »Ja, ja«, nickte er immer freundlicher zu der freundlichen Frau. »Dann machen wir es so …«
    »Gottlob, Herr Professor!« atmete Frau Tamm auf. »Sie wären ja wohl hier ganz hin geworden über aller Streiterei und Feindschaft. Und ich denke, der Maxe kann den offenen Stuhlwagen nehmen, es ist heute so ein freundlicher, heller Tag wie ein letzter Sommertag.«
    »Ja, ja«, sagte der Professor zufrieden und sah vom Bett über die Schulter zum Fenster. »Es sieht heute sehr hell und freundlich aus.«
    Darin aber irrten sie beide: die Bäuerin Louise Tamm wie der Professor Gotthold Kittguß aus Berlin: es war nicht hell und freundlich, es war finsterste Nacht für den Professor Kittguß.

5. KAPITEL
    Worin Professor Kittguß den zweiten Ruf des Engels erfährt
    Eigentlich saß Professor Kittguß, warm zugedeckt, recht gut neben Maxe, dem Kutscher – eigentlich trabten die beiden Braunen schön sachte über den Sandweg, der herwärts so mühselig gewesen –, eigentlich hatte das stille, friedliche Land mit dem herbstlichen Blätterfall seinem Herzen guttun müssen – aber nein, dem Professor war nicht wohl. Gar nicht! Es war angenehm, nun

Weitere Kostenlose Bücher