Altes Herz geht auf die Reise - Roman
war, sogar seine Herde im Stich gelassen. Aber noch jemand war da, der gar nicht zum Bunde gehörte, nämlich die Gausche Älteste, Evi Gau, zwei Jahre jünger als Rosemarie – und die beiden hatten einander in recht guter Erinnerung.
»Sie wird nichts verquatschen«, beruhigte Hütefritz. »Ich habe sie holen lassen, damit wir auch wissen, was bei Gaus los ist.«
Die beiden Mädchen gaben sich recht kühl mit »Dag ok, Evi« – »Dag ok, Marie« die Hand und sahen rasch wieder voneinander fort.
Otsche Gau hatte von zwölf bis zwei Uhr Wache gehabt und, um das Mittagessen versäumen zu können, Streit mit seinem Vater angefangen, der, ein rechter Wutkopf, ihn auch gleich aus der Stube gejagt und in den Holzstall gesperrt hatte. Daß er aus dem, mit der eingeweihten Evi Hilfe, zwei Minuten später bereits wieder entkommenwar, das hatten die Gau-Eltern bis jetzt noch nicht gemerkt: »Und wenn sie es merken, werden sie es auch nicht gleich mit der Angst kriegen. Freilich, wenn Vater wüßte, er sitzt da im Schliekerschen Haus, und nun gar wegen deiner Hemden, ich weiß nicht, was euch beiden passierte, dir und Schlieker und der ollen Mali auch.«
Keines antwortete, sondern alle sahen still auf den Hof, wo sich nichts rührte.
»Und seit zwei, seit ich den Otsche ablösen sollte, hat sich auch nichts gerührt«, sprach Hübner eifrig. »Sie müßten doch wenigstens einmal nach dem Vieh sehen.«
»Und jetzt ist es gleich fünf«, heulte plötzlich Evi Gau los. »Und vier Stunden haben sie ihn jetzt schon mindestens drin, und wer weiß, wie sie ihn peinigen und martern! Und vielleicht schlagen sie ihn sogar tot!«
»Schliekers ist alles zuzutrauen«, sagte weise Hübner.
»Halt’s Maul, alter Quatschkopf«, schimpfte Hütefritz los. »Vom bloßen Gucken kommt er auch nicht frei«, rief Evi. »Nun sag was, Rosemarie! Deinetwegen sitzt er doch drin, und vielleicht denken Schliekers sogar, er hat klauen wollen!«
Rosemaries Herz war schwer, der Entschluß bitter, aber sie sagte doch: »Das beste wird sein, ich gehe hin und sage, daß ich ihn geschickt habe. Dann müssen sie ihn laufenlassen.«
»Und dich behalten sie!« rief Hütefritz wütend.
»Vielleicht komme ich auch wieder los«, sagte Rosemarie, aber nicht sehr hoffnungsvoll.
»Da warte man drauf!« höhnte Fritz wütend. »Nach dem, was du den Schliekers angetan hast, legen sie dich lieber an den Tüder, als daß sie dich noch einmal laufenlassen.«
Alle schwiegen und sahen gespannt auf Rosemarie.
»Also!« sagte sie jämmerlich, denn sie hatte wirklichAngst. Sie wandte sich zum Gehen, blieb aber wieder stehen. »Du hast ja recht, Evi, steckenlassen darf ich ihn nicht. Ich gehe jetzt rein, und wenn Otsche in einer halben Stunde nicht draußen ist, so läufst du zu deinem Vater und erzählst ihm alles. Und du, Hütefritz, mußt dich mit den andern ein bißchen um Philipp kümmern, der braucht denen auch nicht grade in allernächster Zeit vor die Füße zu laufen. Und dann seht zu, daß der Professor wegkommt … Ach Gott ja, Hütefritz, er hat mir sein Geld anvertraut, es sind noch 212 Mark und 83 Pfennig.
Sie liegen unter meinem Kopfkissen im alten Kuhstall, die gibst du ihm. Und sagst ihm, er kann mir doch nicht helfen, er soll lieber nach Haus fahren …«
»Höre zu«, sagte Hütefritz eifrig. »Hör du auch zu, Evi, denn jetzt mußt
du
entscheiden. Was du gesagt hast, Rosemarie, das behalten wir alle und dafür sorgen wir, darauf kannst du dich verlassen. Aber zu Schliekers gehen, das kannst du in einer halben Stunde auch noch – erst müssen wir doch einmal bestimmt wissen, daß Otsche bei ihnen im Haus sitzt. Sonst gehst du rein für nichts und wieder nichts.«
»Aber wo soll er denn sonst sein?« fragte Hübner.
»Weiß ich das?! Vielleicht ist Schlieker gleich von hier aus nach Biestow zu seiner Verwandtschaft oder sonstwas und der Otsche hinter ihm her. Nein, jetzt gehe ich erst einmal spionieren, und dann, wenn wir bestimmt wissen, Otsche sitzt drin, gehst du, Rosemarie. – Bist du einverstanden, Evi?«
»Ja«, sagte sie zögernd. »Wenn es nicht länger als eine halbe Stunde dauert …«
»Aber wenn einer spioniert«, sagte Rosemarie, »will ich es sein.«
»So dumm«, höhnte Hütefritz. »Wo man dein rotes Kleid sieben Meilen weit sieht.«
»Ich bin der Kleinste«, piepte Albert Strohmeier. »Und am schnellsten von euch laufe ich auch. Ich will gehen.«
»Ich habe die Idee gehabt«, beharrte Hütefritz. »Ich will
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