Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Altes Herz geht auf die Reise - Roman

Altes Herz geht auf die Reise - Roman

Titel: Altes Herz geht auf die Reise - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
Vom Netzwerk:
gnädige Frau voranritt, dann folgte der untersetzte, rotgesichtige Pagel, dann der Gefangene, dann der lange, dünne, schlenkrige Jansen. Diese Marschordnung brachte es mit sich, daß Frau von Wanzka zuerst die Waldlichtung sah, die Alter Teerofen hieß, und was sie da sah, machte, daß sie warnend den Finger hob und anhielt.
    Die andern traten leise neben das Pferd, und da sahen sie auf der sonnigen Lichtung, keine fünfzig Meter ab, einen Bock, der eine Ricke vor sich her trieb. Es war ein schönes, friedliches Bild, sie sahen alle stumm darauf, und selbst dem Pagel kam ein Lächeln aufs Gesicht.
    »Es ist der Sechser«, flüsterte die Gnädige, »von dem der Schafskopf, der Förster, immer sagt, er ist nach Kriwitz rüber gewechselt. Aber heute abend gehe ich gleich …«
    Was heute abend gleich sein würde, wurde nicht mehr laut. Denn ein Schuß knallte, der Bock tat zwei, drei taumelnde Sprünge, die Ricke jagte langgestreckt auf den Waldrand zu, der Bock stürzte …
    »So eine verfluchte Schweinerei!« brüllte Frau von Wanzka. »Pagel, Jansen, los! Da drüben muß der Schweinehund von einem Wilddieb sein! Drauf!«
    Sie war schon fort. Die Männer liefen hinter ihr her, einsam und vergessen stand der alte Professor am Rande der Lichtung …
    »Also doch!« rief eine halbe Stunde später Frau von Wanzka unmutig, als sie nach der erfolglosen Wilddiebjagd mit Jansen und Pagel auf den »Alten Teerofen« zurückkam. »Hätt ich’s mir doch denken können! Nun ist er weg, und so leicht läuft der uns nicht wieder in die Hände, alter Schleicher der, mit dem mildfreundlichen Gesicht! Geht nach Haus, Leute, und sorgt dafür, daß sich Lüttenhagen nicht allzusehr über uns die Mäuler zerreißt. Viel Ruhm haben wir heute nicht eingelegt. Ja, es ist recht, Pagel, geben Sie mir den Bock vorne aufs Pferd, ein Glück, daß der wenigstens noch da ist. Trotzdem es mir das Herz zerreißt, mein schöner Sechser, und solch ein Lump, der ihn mir vor der Nase wegschießt! Halt, Jansen, sag der Wirtin, für die fünfundsiebzig Pfennig von dem alten Mann bin ich ihr gut. Von meiner Dummheit soll sie wenigstens keinen Schaden haben.«
    Damit ritt Frau von Wanzka, den Bock vor sich auf dem Pferd, ab. Sie war recht verdrossen, es dämmerte ihr, daß man eigentlich einen Kinderentführer und möglichen Mörder nicht im Walde stehenläßt, um einen Wilddieb zu fangen. Dies hieß wahrhaftig, eine Laus auf einer Kreuzotter töten.
    »Alter Teekessel«, redete sie sich an und hielt, um die nächste Brasil in Brand zu setzen. »Wenn ich an das Gesicht von dem alten Schuft denke, der mir nun glücklich wieder ausgebügelt ist, und an sein gelbseidenes Taschentuch, so möchte ich beinahe hoffen, ich sähe ihn in drei Minuten auf der Freitreppe vor meinem Katen stehen. Aber das ist nun wirklich nichts wie mein alter, dummer Kinderglaube, der mir schon die schönsten Streiche gespielt hat …«
    In diesem Punkt behielt sie recht: der Professor stand nicht auf der Freitreppe, und gesehen hatte ihn auch keiner.
    »Sicher wieder nach Preußen rüber. Na, nun bleibt mir nichts übrig, als sofort mit Schulz zu telephonieren und mir von ihm den Kopf waschen zu lassen. Aber anschreien lasse ich mich nicht!«
    Vorläufig schrie allerdings nicht er, sondern sie, und nicht ihn an, sondern den Justizwachtmeister Thode.
    »Eine wichtige Verhandlung hat er? Daß ich nicht lache über Sie, Thode. Sie kriegen Ihren Handwerksburschen mit einer Woche Haft noch früh genug! Sie rufen ihn auf der Stelle, Thode, oder ich werde Ihnen sofort …«
    Ein Glück für sie, daß Thode ihn jetzt rief. Sie wäre wirklich in Verlegenheit geraten zu sagen, was sie ihm sofort per sieben Kilometer Draht antun würde.
    Ach, sie hatte keinen guten Tag heute, die gnädige Frau von Wanzka. Schreischulze war gar nicht schreiig, sondern sehr leise, sehr eilig und recht interessiert. Ja, ja, die Rosemarie sei längst wieder da, jetzt schon wieder bei den Schliekers, und der alte Herr sei ein ganz harmloser Privatgelehrter.Man habe über ihn nur die allerbesten Auskünfte von Berlin bekommen.
    »Aber, mein lieber Amtsgerichtsrat!« protestierte die Gnädige und dachte an den Auszug aus Lüttenhagen.
    Ja, so was lasse sich nun einmal nicht vermeiden, eine falsche Anzeige, gestern noch im Bereich des Möglichen gelegen, heute bestehe auch nicht der geringste Anhalt …
    »Schulz!« bat die Gnädige förmlich und schämte sich entsetzlich vor dem alten Mann, den sie vor einem ganzen

Weitere Kostenlose Bücher