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Altes Herz geht auf die Reise - Roman

Altes Herz geht auf die Reise - Roman

Titel: Altes Herz geht auf die Reise - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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Freiheit, daß es Menschen gab wie den Professor und den Doktor – das trübe, faulige Grau drang wie ein erkältender Schauer in sie. Alle Blätter fielen auf einmal, ihr blieb nur der kalte, tote Winter.
    »Hab ich es mir doch gedacht!« sagte der junge Arzt in der Küche.
    Aus ihrer verzweifelten Erstarrung aufwachend, sah Rosemarie die Mali auf dem Küchenboden liegen, mit geschlossenen Augen, ohne Farbe, die Fäuste verkrampft, die Unterlippe blutig gebissen. Sie sah auf die Feindin, ihr Herz rührte sich nicht, nur düsterer und trostloser wurde hierdurch noch dies Haus und ihr Weilen in ihm.
    »Sie ist bewußtlos«, sagte der junge Arzt. »Der Anfall ist schon eine ganze Weile vorüber. Er wird in Schlaf übergehen.– Wo ist ihr Bett? Gut, fassen Sie an, daß wir sie hinübertragen. Fassen Sie ordentlich an!« sagte er schärfer. »Da ist nichts, vor dem man sich graulen müßte. Wie sie auch sei, sie ist krank – und
sie
hat ihre Krankheit nicht verschuldet.«
    Das Mädchen griff zu, es tat, wie er wollte, es half die Kranke entkleiden, den eisigen Körper ins Bett legen, die Kissen zurechtstopfen – aber der Doktor fühlte, mit welcher Abneigung das alles geschah. Etwas wie Zorn auf das unbelehrbare, trotzige Mädchen regte sich in ihm, er sagte kurz: »Sehen Sie nach, wo der Mann ist. Widerwillige Pflege ist schlechte Pflege.«
    »Der Mann ist im Waldhaus, beim Professor Unheil zu stiften«, sagte das Mädchen leise.
    »Ach ja. Sehen Sie nach, ob er wirklich fort ist. Er kann drüben im Stall sein, bei seinen Verletzungen ist solch Weg fast unmöglich.«
    Das Mädchen ging wortlos aus der Stube. Der Doktor saß still wartend neben der Kranken, die Bewußtlosigkeit war in den Schlaf tiefster Erschöpfung übergegangen, der Atem war kaum spürbar.
    Er sah sich um in dem Zimmer, er hatte von seinem Stuhl Sachen auf die Erde schieben müssen, um sich setzen zu können: so war der ganze Raum. Ein muffiger, unordentlicher Kramladen, mit blinden, verschmutzten Scheiben, etwas Graues, Trostloses. Vielleicht war es doch nicht richtig, solch jungen Menschen hierzulassen? Zehntausende wachsen schlimmer auf, sprach eine Stimme in ihm. – Aber wenn man es hindern kann, sollte man es tun. – Man kann die kranken Leute nicht ohne Pflege lassen. – Das ist ein ander Ding, Kimmknirsch. – Ich werde noch einmal mit Schulz sprechen, dies ist kein Haus, es ist eine Höhle. – Da du sie hergebracht, trägst auch du Verantwortung.
    Der Doktor stand ungeduldig auf: Wo blieb sie?
    Er ging durch Küche und Vorraum auf den Hof, in den Stall, sah in den Garten, er rief sie. Er ging eilig zurück ins Haus: die Kranke schlief unverändert. Sie hatte von ihres Vaters Zimmer gesprochen – hatte sie sich dorthin verkrochen –?
    Das Häuschen war schnell durchsucht, aber auch des Vaters Zimmer war leer. Der Doktor rief noch einmal vor dem Haus, aber er wußte schon: es war umsonst. Sie war weggelaufen, vielleicht zu dem alten Professor, vielleicht überhaupt fort.
    »Unbelehrbar. Trotzig. Widerspenstig«, dachte der Doktor böse. »Ich kümmere mich jedenfalls nicht mehr um sie. Angst, idiotische Angst. Lebensangst: die ist unreparierbar. – Aber die Kranke kann nicht allein bleiben, ich muß warten, bis der Mann zurückkommt. Von solcher Kranken fortzulaufen – es ist wahrhaftig eine Affenschande! Schäm dich was, Mädchen!!«

18. KAPITEL
    Worin Professor Kittguß und Rosemarie, ein jedes für sich, entlaufen
    Es war erstaunlich, wieviel neugierige Gaffer solch Nest wie Lüttenhagen aufbringen konnte. Der Professor jedenfalls fand es erstaunlich und, nachdem der erste Schreck überwunden war, nicht uninteressant. Die Leute, kleine wie große, strudelten gewaltig um ihn, schwatzten ungeniert, tauschten ihre Anmerkungen. Und die wurden immer ausschweifender und wilder, da die energische Dame auf dem Roß nach der ersten, niederschmetternden Frage keine weitere Auskunft gegeben, sondern nur mit scharfen Kommandoworten die eigentliche Gefangeneneskorte zusammengestellt hatte.
    Die kleine Thürke – »Sie wissen doch, diese blonde Spacke, die bei Schliekers Mädchen spielt« – war schon lange nicht nur mißbraucht, sondern lag bereits tot und verscharrt unter einem Laubhaufen der Lüttenhäger-Tischendorfer-Unsadeler-Kriwitzer Forsten. »Da such man, Nachbar! Schlau sind diese Verbrecher!«
    Es war gut, daß der Professor von der biblischen Geschichte her solch starke Worte gewohnt war. So ging er unbekümmert zwischen seinen

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