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Altes Herz geht auf die Reise - Roman

Altes Herz geht auf die Reise - Roman

Titel: Altes Herz geht auf die Reise - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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Dorf Wüstling genannt hatte.
    Er sei natürlich weit entfernt, ihr einen Vorwurf zu machen.
    »Herr Amtsgerichtsrat!«
    »Sie haben vollkommen korrekt gehandelt …«
    »Wirklich –?!«
    »Ein Glück, daß sich die Sache gewissermaßen von selbst in blauen Dunst aufgelöst hatte, ohne Schaden für jeden Beteiligten …«
    »Und mein Sechserbock, Herr Amtsgerichtsrat?!!« schrie die Gnädige, nun wirklich wütend.
    Aber Schulz war schon fort vom Apparat, er hatte es wirklich eilig, in der Amtsstube saß ihm ein halbes verstrittenes Dorf mit einer wahren Kanarienhecke von Beleidigungsklagen. Ehe er ans Telephon gerufen war, hatte er beinahe die Einigung erzielt, erschrien kann man auch sagen. Jetzt aber hatte ihn das immer lauter werdende Stimmgewirr aus der Gerichtsstube gewarnt, daß über seiner Telephoniererei wahrscheinlich zu allen schon vorliegenden Beleidigungen noch ein volles Dutzend dazugelegt, ausgebrütet und flügge geworden sei.
    Frau von Wanzka hatte gut am Apparat wüten: Amtsgericht Kriwitz meldet sich nicht – es meldete sich auch weiterhin nicht.

    Rosemarie lief eilig durch den Wald.
    Als sie aus der Stube gegangen war, nach Päule Schlieker zu suchen, hatte sie noch nicht die Absicht gehabt, dem jungen Doktor Kimmknirsch so schmählich fortzulaufen. Aber da war sie auf die Scheunendiele gekommen, und da hatte der kleine Stuhlwagen gestanden, und auf dem Stuhlwagen hinten aufgebunden war das verbogene, zerbrochene Rad gewesen, das Hütefritzen gehörte, auf dem sie gestern nacht mit Philipp in die Stadt gefahren war. Nichts hätte ihr bedrohlicher als dieses Rad die Bosheit der Schliekers wachrufen können. Die Rätselfrage, wie es hierher in Schliekers Hände, auf Schliekers Scheune geraten sei, machte die dunkle, verborgene Macht ihrer Pflegeeltern nur noch beängstigender.
    Und als hätte noch etwas gefehlt, ihr Herz zu ängsten und zu verwirren, fand sie auf dem Hof neben der leeren Hundehütte die zweite Marderfalle – und der offene Bügel mit den scharfen Eisenzähnen sah sie so böse an, daß sie schnell nach einem Holzscheit lief und es in das drohende Maul steckte. Die Zähne schnappten laut zu, und am Scheit warf Rosemarie die Falle über die Hofmauer in eine Unkrautsiedlung. Einen Augenblick stand sie hastig atmend, aber ihr war sehr klar bewußt, daß bösere Zähne einen bedrohten, der zu ihr gehörte und ihr lieb war.
    Ohne weiteres Besinnen lief sie los in den Wald, zum alten Kuhstall, so schnell sie nur laufen konnte. Sie war leicht und geübt, sie konnte gut traben, ohne daß ihr der Atem knapp wurde. Aber es war ja ein sehr weiter Weg, und auch der beste Läufer hätte nicht die ganze Strecke traben können.
    Während sie lief, sah Rosemarie nur vor sich auf den Waldboden, um sofort jede Wurzel, jeden Stein zu bemerken, aber wenn sie im Schritt ging, sah sie in den Wald und auf den Wegrand, als suchte sie etwas. Rosemarie hattekeine Stadtaugen wie der Professor Kittguß, der den Wald ansah, aber nichts sah. Rosemarie sah wohl die kleinen Löcher im Waldweg, die der Schliekersche Stock gemacht hatte, und an einer schlammigen Stelle erkannte sie auch den Abdruck der Schliekerschen Schuhe, die sie so oft geputzt hatte. Ja, es wurde immer klarer, daß er tatsächlich ins Waldhaus gegangen war und sie ihm nach, trotz all ihrer feigen Angst. Der Herr Amtsgerichtsrat Schulz und sein Freund, der Herr Doktor Kimmknirsch, mochten sie gut wegen dieser schlotternden, panischen Angst verachten – sie saß in ihr, da hatten sie recht. Aber trotz ihr lief sie dem Schlieker nach.
    Etwas besaß sie eben doch, das noch stärker war als diese Angst, zweidreiviertel Jahre Schliekersche Pflegschaft hatten sie nicht zu einem feige wedelnden Bello zusammenschlagen können. Sie tat, was sie tat, mit Angst, aber sie tat es.
    Wußte sie etwa nicht, in welcher Stimmung Päule Schlieker diesen Waldpfad entlanggegangen war?
    Konnte sie sich etwa einbilden, er sei hier marschiert in Siegerstimmung, zufrieden, die Gefangene ins Verlies zurückzuführen? Nein, solche Einbildung verbot ihr der Waldpfad, denn längst nicht an allen Stellen waren die spitzen Löcher der Stockzwinge zu sehen, zwischendurch hatte Päule auch kräftig den Stock benutzt. Da waren Unkrautnester, in deren fleischiges, nasses Herbstgrün der Stock vernichtend gefahren war; da hing ein Buchenast, sinnlos mit der Krücke heruntergerissen und zerbrochen; da war eine ganz junge, stämmige Fichte, gesund und stark, mit fast schwarzem

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