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Altes Herz geht auf die Reise - Roman

Altes Herz geht auf die Reise - Roman

Titel: Altes Herz geht auf die Reise - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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beiden Wächtern: heute früh hatte er oben auf einem schwankenden Wildgatter den rechten Lebenssinn begriffen – und so leicht war der nun doch nicht wieder auszutreiben! Auch dies gehörte jetzt zu seinem neuen Leben, es gehörte irgendwie unbedingt zu Rosemarie.
    Nur die Dame, die direkt hinter seinem Rücken ritt, störte ihn etwas in seiner lächelnden Ruhe. Oder genauer gesagt, nicht einmal so sehr wie ihr Pferd, dessen Nase fast seine Schultern berührte und ihm den warmen Atem unangenehm in den Nacken blies.
    Aus dem Dorf waren sie nun, die Schar Neugieriger war bis auf ein paar ganz Hartnäckige zu Kochtöpfen und Viehställen zurückgekehrt. Da drehte sich der Professor um und sagte sanft zu der drohenden Reiterin: »Gnädige Frau, Ihr Pferd pustet mir immer auf den Hals.«
    Nun pustete
sie
verächtlich, stieß eine dicke Zigarrendampfwolke aus und sagte bissig: »Was denken Sie denn, wie es Ihnen bei Amtsgerichtsrat Schulz ergehen wird –?!«
    »Führen Sie mich zu ihm?« fragte der Professor höflich.
    »Ssssssst!« machte die Gnädige. »Mit Ihnen unterhalte ich mich gar nicht.«
    Aber sie ritt doch nicht mehr hinter ihm, sondern nebenher im weichen Sommerweg. Der Professor lächelte. Er war der festen Überzeugung, daß alles, wie es geschehen war, gut geschehen war, daß er der Rosemarie gar keinen besserenDienst leisten konnte, als mit solcher Eskorte vor das Vormundschaftsgericht zu ziehen. Nur noch ein langer, etwas mühseliger Fußmarsch, dem das Pferd mit seinen vier Beinen eine viel zu schnelle Gangart gab – und eine kurze Unterredung würde alles aufklären und regeln. Dann würde Witwe Müller dafür sorgen, daß die Sachen gut von Berlin nach Unsadel reisten, und geradezu ein Vergnügen würde es sein, die Thürkeschen Bücherregale zu ordnen und die häßlichen Lücken mit den eigenen altersschwarzen Bänden zu füllen.
    Die gnädige Frau von Wanzka hatte jetzt alle Gelegenheit, ihren Häftling eingehend zu betrachten. Sie tat es, zog immer intensiver an ihrer dicken, schwarzen Brasilzigarre und sah und dachte: »Gestern vormittag erst habe ich die Kunde von dem verruchten Berliner gehört, der das Kind Thürke entführt hat. Schon ist mir dieser Berliner in die Hände gefallen.«
    Das war klar, aber klar war nicht, daß er so gar nicht verrucht aussah. Alle tragen wir – soweit wir uns berufsmäßig nicht damit zu befassen haben – den Glauben in uns, daß ein Verbrecher und möglicher Schänder und Mörder ein Kainsmal an der Stirn tragen müsse. Aber die gnädige Frau von Wanzka mochte schauen, soviel sie wollte, sie sah immer nur einen sehr alten, sehr freundlichen Mann, dessen heller, klarer Blick nichts Feiges, Verstecktes, Verruchtes hatte.
    »Macht jetzt, daß ihr euch heimschert, ihr Lüttenhäger Tagediebe!« befahl sie. »Hier gibt es nichts mehr zu sehen.«
    Die Gnädige war nun mit dem Gefangenen und seinen beiden Wächtern allein, aber das machte nichts klarer. Sie kannte zu gut ihre eigene Schwäche: eine gewisse zornige Ungeduld, die sie lieber einen Fehler begehen ließ, als tatenlos zuzuwarten. War sie wieder einmal voreilig gewesen?Nein, sie handelte im Auftrag des Amtsgerichtsrats, zudem war der Mann als Zechpreller entlarvt und hatte ersichtlich falsche Angaben über den Weg, auf dem er nach Lüttenhagen gekommen war, gemacht.
    Und doch! Und doch! Dies Gesicht und diese unbekümmerte Art, zwischen seinen Häschern zu gehen …
    »Geht mal ein bißchen langsamer, ihr!« sagte sie. »Seht ihr nicht, daß der alte Mann ganz außer Atem kommt?!«
    »Danke schön«, sagte der alte Herr, stehenbleibend, zog ein großes, gelbseidenes Taschentuch und trocknete sich das Gesicht.
    Die Gnädige wurde noch milder gestimmt. Genau solche unförmigen gelblichen Taschentücher lagen ihr noch vom Vater her im Schrank. Sie überschlug im Geiste die elf Kilometer bis Kriwitz, und milde bedachte sie, daß es viel bequemer sei, erst einmal die drei Kilometer auf ihren Hof Tischendorf zu gehen und dort einen Wagen anspannen zu lassen.
    Wenn er ein Verbrecher ist, überlegte sie, und das muß er ja sein, so ist er ein ganz abgefeimter Schurke. Aber dafür bin nicht
ich
eingesetzt, sondern Schulz. Und zu bestrafen habe ich ihn auch nicht, mag er also erst einmal auf meinem Wagen fahren …
    »Wir gehen rechts, Pagel«, befahl sie. »Den Waldweg nach Tischendorf!«
    »Jau, jau«, sagte Pagel, und sie bogen in den Waldpfad nach Tischendorf ein.
    Nun war die Marschordnung so, daß die

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