Alteuropa-Trilogie 1 - Im Jahr der Pferde
er sie in sein Bett zog, war es mit ihrer Geduld vorbei, und sie wehrte sich mit aller Kraft gegen ihn.
»Ich hasse dich!« schrie sie. »Faß mich nicht an! « Jedesmal, wenn er seine Hand auf sie legte, schauderte sie vor Ekel und schlug nach ihm, aber er war stärker als sie, und schließlich gelang es ihm, sie zu packen und zu Boden zu werfen. Nachdem er ihr die Hände mit einer seiner Bogensehnen auf dem Rücken gefesselt hatte, nahm er sie mit Gewalt und warf sie danach aus seinem Bett, um sie die ganze Nacht in der kalten Asche des Feuers liegen zu lassen.
Am Morgen kam Timak mit einem schadenfrohen Grinsen herbeigeschlurft und schnitt ihre Fesseln durch. »Du solltest dich besser benehmen«, warnte sie, »sonst wird es dir noch sehr viel schlimmer ergehen.« Mit Blutergüssen bedeckt und zutiefst gedemütigt, erhob Marrah sich schwankend und machte Anstalten, zum Fluß hinunterzugehen, um sich sauberzuschrubben, aber Timak hielt sie zurück.
»Du bist zu eitel«, sagte sie spitz. »Immer dieses Waschen und Schniegeln, wenn es Arbeit zu erledigen gibt.« Energisch drückte sie Marrah einen Ledereimer in die Hand und führte sie auf die Weide, um die Stuten zu melken, wobei sie sie die ganze Zeit mit kalten, mißtrauischen Augen beobachtete. Anschließend befahl sie Marrah, die Zeltgrube auszuheben, eine harte Arbeit, da die festverwurzelten Grassoden mit einem Steinmesser geschnitten und in Blöcken herausgebrochen werden mußten.
An jenem Nachmittag beugte sich Marrah gerade über das Feuer und nahm geröstete Wurzeln mit einem gabelförmigen Stock heraus, als Hiknak erschien und mehr getrockneten Dung in die Flammen zu werfen begann.
»Das Feuer brennt schon heiß genug«, fauchte Marrah. Es war nicht fair, ihre Enttäuschung an Hiknak auszulassen, aber sie fühlte sich so elend bei der Aussicht, einen ganzen Winter im selben Zelt mit Vlahan verbringen zu müssen, daß sie wahrscheinlich sogar die lachenden Priesterinnen von Nar angefaucht hätte, wenn sie irgendwo in Sicht gewesen wären.
»Still«, flüsterte Hiknak. »Ich möchte mit dir reden. Ich gebe dir einen guten Rat. Wehre dich nicht gegen ihn.«
»Was ?« Marrah hielt inne, eine Hand dicht über den Kohlen.
»Wehr dich nicht gegen Vlahan. Er genießt es.« Hiknak hob den Kopf. Ihr schmales, blasses Gesicht sah mädchenhaft aus, aber ihre Augen waren hart. »Ich sollte es wissen. Ich habe mich zu Anfang auch gegen ihn gesträubt, aber jetzt gebe ich nicht nur nach, ich tue sogar, als wollte ich Sex mit ihm haben. Sobald er herausfand, daß ich bereitwillig war, hörte er auf, mich zu begehren. Es verschafft ihm Lust, sich andere unterwürfig zu machen – Pferde, Frauen, für ihn gibt es da keinen Unterschied. Deshalb rate ich dir noch einmal: Sträub dich nicht gegen ihn.«
Es war ein guter Rat, aber er erwies sich als nutzlos. Den ganzen Tag hindurch hatten die Trommeln gedröhnt, und die Krieger hatten gefeiert, aber nachdem Marrah den schlimmsten Teil der schlechten Nachricht bereits am Tag zuvor gehört hatte, achtete sie nicht mehr auf den Klang. Draußen auf der Steppe veranstalteten die Männer Kriegsspiele, und manchmal, wenn sie ihre Augen mit der Hand beschattete, konnte sie kleine Gestalten aufeinander zureiten sehen oder die Silhouette eines Kriegers, der sich im Sattel aufrichtete, um mit Pfeil und Bogen irgendein Ziel anzuvisieren, aber es spielte sich alles sehr weit entfernt ab. Sie würde keine Chance haben, mit Arang zu sprechen, bis die Spiele beendet waren.
Als sie durch die festverwurzelten Grassoden schnitt und Erde aushob, dachte sie besorgt an ihren Bruder. Hoffentlich zwangen sie ihn nicht wieder, Pferdeblut zu trinken, oder noch schlimmer, weitere Tätowierungen zu erdulden.
Zu der Zeit, als die Dunkelheit hereinbrach, waren Marrahs Hände zerkratzt und blutig, doch sie hatte es geschafft, ein Loch ungefähr von der Größe eines Zelts zu graben. Timak begutachtete ihre Arbeit und wandte sich mit einem gegrunzten Kommentar ab. »Morgen machst du es noch tiefer«, sagte sie, aber als es Zeit wurde, das Essen auszuteilen, gab sie Marrah eine größere Portion als gewöhnlich.
Nach dem Abendessen begannen sie, auf Vlahan zu warten. Wie üblich beschäftigte sich Timak mit Näharbeiten, Hiknak flocht Hanf, und Marrah zupfte Dornen aus Knäueln ungewaschener Schafswolle. Es war kalt draußen, deshalb legte sie mehr getrockneten Dung auf das Feuer, und ein angenehmer Geruch nach getroccnetem Gras erfüllte das Zelt.
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