Alteuropa-Trilogie 1 - Im Jahr der Pferde
waschen. Vlahan hatte eine Nase wie ein Hund, und sie wollte keine Spur von Stavans Duft auf ihrem Körper zurückbehalten.
Sie ging jedoch ein Risiko ein. Als Timak gerade mit Vlahan beschäftigt war und Hiknak den Kaninchenbraten mit Fett begoß, fand Marrah irgendeinen Vorwand, das Zelt zu betreten. Sie kniete in dem Kreis von Licht, der durch das Abzugsloch in der Decke hereinfiel, dann zog sie Stavans Geschenk hervor, wickelte es aus und hielt die Träne des Mitgefühls in ihrer Hand. Freudentränen brannten in ihren Augen, als sie einen Moment lang den kleinen Schmetterling betrachtete, der so friedlich in dem klaren gelben Stein eingeschlossen ruhte, als wäre er niemals über die halbe Welt verschleppt worden. Hastig, bevor jemand hereinkommen und sie erwischen konnte, band sie sich die Lederschnur mit dem Anhänger um den Hals und verbarg ihn unter ihrer Tunika. Das Versteck war jedoch nur vorübergehend. Sie würde die Kette in ihrem Beutel verstauen müssen, damit Vlahan sie nicht sah, aber heute würde sie sich das Vergnügen gönnen, den gelben Stein zu tragen. Sie berührte flüchtig den Boden und bat die Göttin Erde um Glück.
Danach blieb ihr keine Zeit mehr zum Nachdenken. Sie rannte zu den Vorratskörben, fand den Laib Käse, den zu holen Timak ihr aufgetragen hatte, und lief gerade rechtzeitig aus dem Zelt, um sich eine schallende Ohrfeige von Vlahan einzuhandeln, aber es kümmerte sie nicht. Statt ihn wütend anzufunkeln, kniete sie mit außerordentlicher Geduld zu seinen Füßen, während er sie mit Beleidigungen überhäufte und wegen ihrer Langsamkeit, Faulheit und ihrer allgemeinen Nutzlosigkeit beschimpfte. Was spielte es schon für eine Rolle, was dieser Idiot zu ihr sagte?
Vlahan schien beeindruckt von ihrer neuen Unterwürfigkeit. » Sie lernt's allmählich«, sagte er zu Timak. Timak jedoch war nicht erfreut. Sie blickte Marrah aus schmalen Augen an, und als die Zeit kam, die frischen Pferdeäpfel zum Trocknen auszubreiten, achtete sie darauf, ihr den größten Korb zu geben.
Gegen Mittag schien sich Vlahan von seinem Kater erholt zu haben. Er war gehässig, aber es war seine übliche Gehässigkeit. Nachdem Marrah gewartet hatte, bis Timak sicher außer Hörweite war, wusch sie sich in aller Eile den Dung von den Händen, ging zu Vlahan und kniete erneut vor ihm nieder. »Ich möchte dich um einen Gefallen bitten, Ehemann«, sagte sie, wobei sie scheu den Blick senkte, wie es sich für eine anständige Nomadenehefrau gehörte. Ihr Hansi hätte besser sein können, doch es war gut genug, und Vlahan schien angenehm überrascht zu sein. Dies war eindeutig der längste Satz, den sie jemals zu ihm gesagt hatte, und er konnte unmöglich wissen, wieviel Überwindung es sie gekostet hatte, das Wort »Ehemann« auszusprechen.
Er hob seine Pfeife an die Lippen, inhalierte einen kräftigen Zug und musterte sie von Kopf bis Fuß. »Was?« fragte er. Er war kein Mann, der zu langen oder komplizierten Unterhaltungen neigte.
»Ich möchte deine Erlaubnis, meinen Neffen zu besuchen.« Um ein Haar hätte sie »Bruder« statt »Neffe« gesagt. Der Gedanke, wie nahe sie daran gewesen war, alles zu verderben, ließ sie schaudern, aber Vlahan schenkte ihr kaum Beachtung, wie gewöhnlich – außer wenn er sie in seinem Bett haben wollte –, deshalb bemerkte er auch ihren plötzlichen Gesichtsausdruck der Angst nicht.
»Wann? «
»Heute nachmittag.« Sie wußte, sie sollte noch mehr sagen. Er blickte sie erwartungsvoll an. »Bitte, Herr.«
»Hm«, murmelte er, und seine Augen verengten sich zu Schlitzen. »Ich glaube nicht.«
Es kostete Marrah ihre gesamte Selbstbeherrschung, ihn nicht anzuschreien, daß sie gehen würde, ob es ihm paßte oder nicht, aber sie wußte inzwischen, wenn sie es täte, würde sie Arang tagelang nicht zu sehen bekommen, deshalb schluckte sie ihre Wut hinunter und brachte sogar ein demütiges Lächeln zustande. »Darf deine Ehefrau fragen, warum du es nicht erlauben willst?«
»Nein«, erwiderte Vlahan und wedelte ungeduldig mit der Hand, zum Zeichen, daß sie entlassen war.
Erschrocken und beunruhigt über den Mißerfolg, machte sie sich wieder daran, Dung zum Trocknen auszubreiten. Was ging hier vor? Sicher, sie hatte bisher noch nie um die Erlaubnis gebeten, Arang zu besuchen, weil Arang fast jeden zweiten Tag zu ihr kam, aber Vlahan hatte sie frei im Lager herumgehen lassen. Sie mußte seine Erlaubnis haben, um sich Zuhans Zelt zu nähern – keine Frau durfte auch
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