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Alteuropa-Trilogie 1 - Im Jahr der Pferde

Titel: Alteuropa-Trilogie 1 - Im Jahr der Pferde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
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    Auf Mutter Ashas Anweisung hin fand die Beerdigung so weit wie möglich vom Mutterschoß der Ruhe entfernt statt, weil es eine unhygienische Sache war, die sogar noch unsauberer wurde durch die Zeremonie, die der Fremde abhielt, nachdem er einen Erdhügel über seinem Bruder aufgehäuft hatte. Unter den entsetzten Blicken der Dorfbewohner packte er eine junge Ziege, schlitzte ihr die Kehle auf und ließ ihr Blut auf das Grab seines Bruders tropfen. Selbst Marrah, die von dem Ritual mit der Ziege bereits gewußt hatte, zuckte zusammen und grub ihre Fingernägel in ihre Handflächen, als das Tier taumelte und stürzte.
    »Warum hat der gelbbärtige Fremde eine Ziege getötet?« flüsterten die Dorfbewohner. »Will er das Begräbnisfestmahl auf dem Grab seines Bruders kochen ?« Sie selbst töteten ebenfalls Tiere, aber nur, um Nahrung zu haben, und niemals als Teil eines religiösen Rituals. Die einzigen Opfer, die sie kannten, waren Gaben von Früchten und Pflanzen: Getreidekörner, die für die heiligen Vögel ausgestreut wurden, und Blüten, die man ins Meer warf, um Amonah zu ehren.
    Mutter Asha, die der Tötung der Ziege erst dann widerwillig zugestimmt hatte, nachdem der Fremde sie lange Zeit darum gebeten hatte, schloß die Augen und strich sich mit der Hand übers Gesicht. Sie hatte eindeutig einen Fehler gemacht. Sicher, sie würden das Tier essen, aber nachdem sie jetzt mit eigenen Augen gesehen hatte, wie es getötet wurde, war sie der Meinung, sie hätte fest bleiben und die Bitte des Fremden abschlagen müssen. Kein lebendes Wesen sollte zu Ehren der Toten geschlachtet werden, dachte sie. Dies ist einfach zuviel.
    Dies ist nicht annähernd genug, dachte Stavan im selben Moment. Achan zu Ehren hätten mindestens zwanzig Pferde auf seinem Grab getötet werden sollen.
    Das Blut der Ziege sickerte in die Erde und hinterließ dunkle Flecken auf dem kalkhaltigen Boden. Einen Moment lang bildete Stavan sich fast ein, er könnte das schrille Geplapper der Geister hören, die zum Trinken kamen. Er schauderte und fragte sich, ob die Geister der Unterwelt mit einer so kümmerlichen Gabe wie dem Blut einer Ziege zufrieden sein würden.
    Marrah schlief schlecht in jener Nacht. Ihre Träume waren wirr, und einmal wachte sie abrupt auf, um sich aufrecht auf ihrem Lager sitzend wiederzufinden, die Hände an den Seiten zu Fäusten geballt.
    Als der Morgen dämmerte, war sie erschöpft und nur zu bereit, sich wieder die Decke über den Kopf zu ziehen und noch eine Weile zu schlafen, aber bevor sie sich in die Dunkelheit unter den Schaffellen zurückziehen konnte, traf eine Nachricht von Mutter Asha ein, in der sie Marrah und Ama bat, sofort auf den Festplatz zu kommen, bevor die Zeremonien begannen. Den Fremden, Stavan, sollten sie zurücklassen.
    Mutter Asha legte sehr viel Nachdruck auf diese letzte Anweisung, und sie hatte den Boten ausdrücklich angewiesen, sie zweimal zu wiederholen, damit kein Mißverständnis aufkommen konnte.
    »Ich bin zu einer Entscheidung gekommen«, verkündete Mutter Asha. Sie blickte an Marrah und Ama vorbei auf den neuen Stein der Göttin, der über und über mit Blumen geschmückt war zur Vorbereitung auf das abschließende Tanzfest, mit dem die dreitägigen Feierlichkeiten ausklingen würden, doch in Gedanken sah sie statt dessen die Ziege – die, die für nichts ihr Leben hatte lassen müssen, das arme Tier. Vielleicht war es dumm, sich so viele Gedanken um den Tod einer Ziege zu machen, aber sie war eine alte Frau, deren Instinkt für kommendes Unheil mit der Zeit nur noch schärfer geworden war, und an diesem Morgen konnte sie eine unheilverkündende Unterströmung in der Luft spüren, als wäre ein kalter Wind durch Hoza gefegt, der einen frühen Winter brachte. War die Göttin Xori zornig, weil eines ihrer Tiere zur falschen Zeit und am falschen Ort getötet worden war? Mutter Asha war sich nicht sicher. Sie hatte nur das Gefühl, daß etwas Häßliches stattgefunden hatte und daß sie unwissentlich daran beteiligt gewesen war.
    Sie räusperte sich und blickte auf Marrah und Ama, die respektvoll darauf warteten, daß sie fortfuhr.
    »Ich habe entschieden, daß ich von keinem Dorf verlangen kann, euch den Fremden abzunehmen.« Da, es war heraus: ohne lange Umschweife, klar und deutlich und unmißverständlich. Bevor die beiden Frauen protestieren konnten, fügte sie hinzu: »Er wird zu schnell wütend, er trauert zu wild, er ist zu störrisch, zu rücksichtslos gegenüber

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