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Alteuropa-Trilogie 1 - Im Jahr der Pferde

Titel: Alteuropa-Trilogie 1 - Im Jahr der Pferde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
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lassen würden, wußte er, er hatte recht daran getan, ihnen zu vertrauen. Er mußte die Nachricht von Achans Tod so bald wie möglich seinem Vater überbringen, und er konnte nur hoffen, daß er mit den anderen Stämmen, auf die er unterwegs traf, ebensowenig Schwierigkeiten haben würde.
    An jenem Nachmittag wurde ein großer Baum gefällt, von Ästen und Zweigen befreit und dann zum Festplatz von Hoza gezogen. Obwohl Mannschaften junger Männer und Frauen den Baum anhoben und aufrichteten, als wäre er ein Göttinnenstein, ging das Aufstellen mühelos und unter viel Gelächter und Scherzen vor sich. Nachdem die hölzerne Stange sicher im Boden verankert war, ergriffen die jungen Leute die Enden der Seile und begannen zu tanzen, wobei die Frauen in der einen Richtung um den Baum tanzten und die Männer in der anderen. Der Tanz war voller sexueller Energie und doch ekstatisch religiös, und als die Tänzer ihre Seile über- und untereinander verflochten, mit den Füßen im Rhythmus der Trommeln auf den Boden stampften und Lieder zu Ehren der Eulengöttin sangen, ging eine Veränderung mit ihnen vor. Einer nach dem anderen hörten sie auf, sich als einzelne Individuen zu fühlen, und verloren sich in der Gruppe, bis sie nicht länger Männer oder Frauen waren, sondern nur ein einziger großer Kreis, der sich drehte und drehte und alles mit sich riß. Der Kreis war der Kreislauf des Lebens, der ewige Kreislauf der Erde selbst, der sich von Frühling zu Winter zu Frühling bewegte, von Geburt zu Tod zu Geburt, und alle Feste der Toten endeten mit diesem Tanz.
    Marrah war Teil des Kreises, und beim Tanzen fühlte auch sie, wie sie mit der Gruppe zu einer Einheit verschmolz. Wie Menschen, die die Hände ausstrecken, um einander bei der Hand zu fassen, griff das Bewußtsein des einen nach dem der anderen, und im Augenblick des Kontakts wurden sie zu einem einzigen Überbewußtsein, größer als jedes einzelne. In dem Moment, als Marrah eins mit dem Überbewußtsein wurde, fühlte sie ein seltsames Gefühl durch ihren Körper strömen, und sie erinnerte sich an Dinge, die sie unmöglich wissen konnte. Die Erinnerungen des Überbewußtseins waren nicht intellektueller Art oder auch nur verstandesmäßig; sie waren tiefer und sehr viel mächtiger, wie Träume, die auf ihren Kern hinauslaufen.
    Als das Überbewußtsein tanzte, erinnerte es sich an Tausende von Tänzen, die alle zur gleichen Zeit stattfanden, wie Kreise innerhalb von Kreisen, ohne Ende und ohne Anfang. Neben jedem menschlichen Wesen tanzte der Geist aller Vorfahren und neben jedem Urahn der Geist jedes Tieres, und neben den Menschen und den Tieren tanzte der Wald, und die Sonne und der Mond tanzten, und selbst die Sterne tanzten um den Baum.
    Während Marrah sich im Kreis bewegte, fühlte der Teil von ihr, der das Überbewußtsein war, die Gegenwart von etwas, das weder Gott noch Göttin war, etwas, genau im Zentrum der Bewegung, das vollkommen ruhig blieb, während alles andere um es herum wirbelte.
Liebe,
flüsterte die Ruhe dem Überbewußtsein zu.
Alles ist Liebe.
Und als das Zentrum sprach, wurde das Überbewußtsein plötzlich von einer Liebe erfüllt, so vollständig, daß alles andere von einer überwältigenden Freude ausgelöscht wurde.
    Der Tanz ging weiter und weiter, und mit jedem Schritt, den die Tänzer machten, drehten sich die Seile fester um den Stamm, und der Kreis wurde kleiner. Schließlich standen dreißig Paare von Männern und Frauen einander von Angesicht zu Angesicht gegenüber, unfähig, noch einen Schritt zu tun. Die Trommeln schwiegen, und Mutter Asha erhob sich auf die Füße. »Lob und Dank sei Xori!« rief sie mit lauter, klarer Stimme und klatschte in die Hände.
    Als der Name der Vogelgöttin ertönte und Mutter Asha in die Hände klatschte, löste sich das Überbewußtsein abrupt wieder in seine einzelnen Bestandteile auf. Plötzlich erwachte Marrah aus ihrer Trance, um einen dunkeläugigen jungen Mann aus Shiba vor sich stehen zu sehen.
    »Lob und Dank sei Xori!« riefen Marrah, der junge Mann und die übrigen Tänzer. »Gelobt sei die Große Vogelgöttin, die Liebe auf ihren heiligen Schwingen bringt!« Und dann ließen sie die Enden der Seile fallen, stürzten einander in die Arme und küßten sich, während die Pfeifen und Trommeln spielten und die Zuschauer applaudierten.
    An diesem Abend ging Marrah mit dem jungen Mann aus Shiba in die Wälder, den die Göttin ihr gegeben hatte, und als sie friedlich in den Armen des

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