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Alteuropa-Trilogie 1 - Im Jahr der Pferde

Titel: Alteuropa-Trilogie 1 - Im Jahr der Pferde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
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anderen, und einige seiner Bräuche sind abstoßend.«
    Sie hob eine Hand, machte eine weitausholende Geste, die den Mutterschoß der Ruhe einschloß, die Steine der Göttinnen, die Unterkünfte und Lagerfeuer und ihre Kinder, alle dreitausend, die in Hoza versammelt waren. »Das Küstenvolk ist immer wie eine einzige große Familie gewesen, miteinander verbunden durch Liebe und Pflicht.« Asha zeigte auf sich selbst. »Ich existiere nicht außerhalb dieser Familie.« Dann wies sie auf Ama und Marrah. »Und ihr existiert nicht außerhalb dieser Familie. Aber er –«, sie zeigte in die Richtung des Zeltes, wo der Fremde noch lag und schlief, »er steht außerhalb.«
    »Sollen wir ihn in die Wälder verbannen, damit er dort verhungert?« fragte Marrah. Sie geriet vielleicht schnell in Wut, aber sie verzieh auch schnell. Am Abend zuvor, bevor sie alle schlafen gegangen waren, hatte sie sich wieder mit dem Fremden unterhalten, zuerst zurückhaltend und mißtrauisch, dann mit wachsendem Mitleid. Dabei hatte sie Dinge über ihn erfahren, die sie nicht vollkommen verstand, die sie aber dennoch tief bewegt hatten. Es schien, als hätte er Jahre damit zugebracht, nur mit seinem Bruder und ein paar Freunden als Gefährten durch die Welt zu wandern, und jetzt waren sie alle tot, und er war ganz allein.
    »Er ist immer noch schwach; er hat einen schlimmen Husten, der seine Lungen schädigen könnte. Wenn man ihn dem Wind und der Feuchtigkeit aussetzt, dann wird er nicht bis zum nächsten Vollmond überleben.« Als Marrah begriff, daß sie gerade respektlos mit der »Mutter aller Familien« gesprochen hatte, schlug sie sich erschrocken die Hand vor den Mund und blickte zu der Plattform hoch, entsetzt über ihre eigene Unhöflichkeit.
    Mutter Asha reagierte amüsiert. »Ah«, sagte sie. »Ich bin froh zu hören, daß du ein solches Interesse an seiner Gesundheit bekundest, Marrah. Es zeigt, daß du die Instinkte einer Heilerin hast, und es gereicht der Mutter zur Ehre, die dich darin unterwiesen hat. Nein, ich werde Ama nicht vorschlagen, den Fremden in den Wald zu schicken, während er sich noch von seiner Krankheit erholt.« Sie hielt inne und blickte wieder auf Hoza, auf die purpurfarbene und goldgelbe Erika, das helle Sonnenlicht, das von den großen Statuen reflektiert wurde. »Der Sommer hat gerade erst begonnen und mit ihm die Zeit des Handels. Bisher sind nur die Händler eingetroffen, die Äxte aus dem Landesinnern mitbringen, aber während der langen Tage, die noch kommen, werden wir Besucher haben, die von so weit her wie dem Blauen Meer kommen, und bis sie wieder abreisen, sollte der Fremde kräftig genug sein, um mit ihnen zu fahren.«
    »Und wenn er das nicht will?«
    »Dann«, erklärte Mutter Asha brüsk, »werden wir ihn im Wald aussetzen, damit er sich allein durchschlagen muß. In unseren Langhäusern ist kein Platz für einen solchen Mann. Aber ich glaube nicht, daß du dir Sorgen darüber zu machen brauchst, daß er bleiben wird. Ich glaube, er sehnt sich ebensosehr danach, zu seinem eigenen Volk zurückzukehren, wie wir uns danach sehnen, ihn loszuwerden.« Mit einer knappen Handbewegung gab sie den beiden Frauen zu verstehen, daß die Audienz beendet war.
    Wieder einmal zeigte sich, daß Mutter Asha recht hatte. Als Marrah Stavan erklärte, er solle gegen Ende des Sommers mit den Händlern aufbrechen, dankte er ihr überschwenglich. Sie war überrascht über seine Begeisterung und sogar ein bißchen verärgert, daß er so darauf erpicht schien, von ihnen wegzukommen. Woher hätte sie auch wissen sollen, daß er seit dem Tag, als er aufgewacht war, um sich im Langhaus von Wilden wiederzufinden, panische Angst ausgestanden hatte, sie würden ihn einem ihrer Götter opfern oder ihm Fesseln anlegen und ihn zu ihrem Sklaven machen?
    Als er Marrah dankte, empfand er nicht nur Erleichterung, sondern auch eine heimliche Bewunderung für diese Menschen, die einen kranken Fremden bei sich aufnehmen, ihn wieder gesund pflegen und ihn auf den Heimweg schicken konnten, ohne irgend etwas als Gegenleistung dafür zu verlangen. Achan hatte die Wilden immer verachtet, hatte sie als schwach und unter der Herrschaft von Frauen stehend bezeichnet, aber während der Zeit, die er in ihrer Obhut verbrachte, hatte sich Stavan für sie erwärmt. Es gab Augenblicke, da hatte er befürchtet, seine freundlichen Gefühle könnten unwürdig sein und nicht passend für einen Krieger, doch als er jetzt begriff, daß ihn die Wilden gehen

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