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Alteuropa-Trilogie 1 - Im Jahr der Pferde

Titel: Alteuropa-Trilogie 1 - Im Jahr der Pferde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
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Mutter stolz das neue Spielzeug, das Stavan für ihn geschnitzt hatte, und als sie es in der Hand hielt und es von allen Seiten prüfend betrachtete, wich die Benommenheit des Fiebers plötzlich aus ihrem Kopf, und sie begriff abrupt, daß die drohende Katastrophe, vor der sie vierzehn Jahre zuvor geflohen war, ihr nicht nur gefolgt war, sondern sie sogar überrascht hatte, als sie am allerwenigsten damit rechnete.
    »Was ist das hier?« fragte Sabalah scharf und hielt Arang ihre Hand hin, in der das Stück geschnitzten Holzes lag. Arang sah das gerötete Gesicht seiner Mutter und ihr wild zerzaustes Haar, und seine Stimme zitterte leicht.
    »Stavan nennt es ein Pferd.« Er zeigte auf das vierbeinige Tier mit Haaren und Kopf und Hals. »Du hast schon einmal so eines gesehen, Mutter, erinnerst du dich? Ama hatte es mit nach Hoza genommen, um es der Mutter aller Familien zu zeigen, aber auf dem Rückweg hat sie es verloren, deshalb hat Stavan mir ein neues geschnitzt.«
    »Und was ist das hier?« Sie stieß mit dem Zeigefinger gegen die zweibeinige Figur, die auf dem Rücken des Tieres saß.
    »Na, das ist natürlich ein Mensch.«
    »Arang.« Sabalah zog sich mühsam in eine sitzende Position und zuckte zusammen, als ihr entzündeter Fuß das Schaffell berührte. »Jetzt überleg bitte ganz sorgfältig und sprich nicht, bevor du dir nicht sicher bist. Willst du mir etwa sagen, daß Stavans Volk tatsächlich auf diesen Tieren
reitet,
die er Pferde nennt?«
    »Aber ja!« Er war erleichtert, daß sie nicht böse auf ihn war. »Stavan sagt, um ein Pferd dazu zu bringen, daß es einen trägt, muß man sich auf seinen Rücken schwingen und es nach allen Seiten auskeilen lassen, bis es erschöpft ist. Gewöhnlich wird das Pferd sein Bestes versuchen, um dich abzuwerfen, aber nach einer Weile begreift es, daß du sein Herr bist, und dann wird es dich überall hintragen, wohin du willst. Stavan sagt, als er das Grasmeer hinter sich gelassen hatte, wären er und sein Bruder so schnell geritten, daß sie oft an einem einzigen Tag eine Strecke zurücklegten, für die man zu Fuß fünf Tage braucht, und ...«
    Doch Sabalah hörte nicht mehr zu. Sie zählte etwas, zählte es sogar mehrmals, als könnte sie das Endergebnis dadurch möglicherweise verändern: vier Beine bei dem Pferd, zwei Beine bei dem Mann, sechs Beine insgesamt. Die Tiermenschen hatten sechs Beine und zwei Köpfe! Sie kamen aus dem Osten, genau wie die Schlangengöttin Batal vorausgesagt hatte.
    »Stavan sagt ...«
    »Ich will nicht hören, was Stavan sagt!« schrie sie und schleuderte Pferd und Reiter auf den Fußboden. »Geh nach draußen und laß mich in Frieden!«
    Erschüttert und sprachlos vor Furcht rannte Arang aus der Schlafecke, und Sabalah fiel wieder in ihr Bett zurück und verfluchte den Unglückstag, der Stavan nach Xori gebracht hatte.
    Stavan kehrte am späten Nachmittag in das Langhaus zurück. Als Sabalah seine Stimme hörte, rief sie ihn zu sich und bat ihn, sich an ihr Bett zu setzen. Obwohl ihr Gesicht blaß war und ihr Kinn grimmig vorgeschoben, hätte niemand vermutet, daß sie den Tag damit zugebracht hatte, abwechselnd zu weinen und vor Zorn zu toben. Als Priesterin wußte sie, daß weder Batal noch irgendeine andere Göttin mit sich handeln ließen, und wenn es die Situation erforderte, brachte sie ebensoviel Selbstbeherrschung auf wie jeder Hansi-Krieger. Zuerst hatte sie mit jeder Faser ihres Wesens gegen die Erfüllung der Prophezeiung rebelliert, doch nach dem ersten leidenschaftlichen Wutausbruch war sie zur Vernunft gekommen und hatte erkannt, daß sie so viel wie möglich über die Katastophe herausfinden mußte, die eindeutig bevorstand.
    »Erzähl mir von deinem Volk«, befahl sie, und Stavan, der sah, daß sie sich nicht länger von Kindermärchen einlullen lassen wollte, erzählte ihr, was er Marrah erzählt hatte, während er ihr die Wörter erklärte, die einer Erklärung bedurften, und nicht bei Dingen verweilte, die sie aufregen würden. Seine Beschreibung der Lebensweise der Hansi dauerte eine ganze Weile. Meistens ließ sie ihn sprechen, ohne ihn zu unterbrechen, doch gelegentlich stellte sie Fragen.
    »Wie weit ist es vom Grasmeer bis zum Rauchfluß? Wie viele Krieger reiten auf diesen Tieren, die Pferde genannt werden, und wie lange würden sie brauchen, um die Länder jener Völker zu erreichen, die die Göttin Erde anbeten, falls sie in Richtung Westen reisen würden ?«
    Er konnte ihr keine genauen Antworten geben,

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