Alteuropa-Trilogie 1 - Im Jahr der Pferde
einsehen, daß dein Gelöbnis unsinnig ist –«
»Solange ich ein Zelt besitze, wirst du und deine Familie einen Platz zum Schlafen haben; solange ich etwas zu essen habe, wirst du und deine Familie nicht verhungern, und von diesem Augenblick an bis zu dem Augenblick, wenn ich mein Leben von dir zurückgewinne, werde ich dir in allen Dingen gehorchen.« Stavan ergriff ihre Hände und küßte sie feierlich. »Ich besiegle diesen Schwur mit einem Kuß, und wenn ich es versäume, ihn einzuhalten, dann möge mich Han mit dem Tod bestrafen! «
Marrah riß ihre Hände zurück und starrte ihn sprachlos an. Sie war geschmeichelt, beeindruckt, verärgert und mehr als nur ein bißchen ergriffen von der Ernsthaftigkeit seines Schwures, und sie konnte nicht umhin, sich zu fragen, ob er ihn tatsächlich einhalten würde. »Du bist verrückt«, erklärte sie, unsicher, ob sie lachen oder weinen oder beides zugleich tun sollte. »Warum kannst du dich nie wie ein normaler Mensch benehmen?«
Zu ihrer Überraschung sprang Stavan augenblicklich auf die Füße, setzte sich wieder neben sie und entschuldigte sich erneut, und nach einigen verlegenen Augenblicken begann er, vollkommen vernünftig zu reden.
Den Rest des Abends verhielt Stavan sich wie ein Mann des Küstenvolks, zumindest insoweit, wie er es überhaupt konnte, und er benahm sich so gut, daß Marrah sich zu fragen begann, ob es nicht nur in ihrer Einbildung geschehen war, daß er vor ihr gekniet hatte; und erst als sie zu Bett gegangen war – verwirrt und durcheinander –, wurde ihr klar, daß er sich nur deshalb normal benommen hatte, weil sie es von ihm verlangt hatte.
Mehrere Tage später, kurz vor Mittag, trafen sie wieder in Xori ein. Als Arang Marrah erblickte, rannte er auf sie zu, um sie zu begrüßen, gefolgt von einer Schar von Verwandten und Unmengen johlender Kinder. »Willkommen zu Hause! « rief er, stürzte sich auf sie und umarmte sie so stürmisch, daß es Marrah beinahe von den Füßen gerissen hätte. »Wir haben schon eine Ewigkeit nach euch Ausschau gehalten! Wieso habt ihr so lange gebraucht? War es schön in Hoza? Ist es wirklich so großartig, wie alle sagen?«
»Wie viele Männer waren nötig, um die neue Göttin aufzustellen?« wollte Majina wissen, während sie an Marrahs Ärmel zupfte.
»Hast du auch bei dem Tanz um den Baum des Lebens mitgemacht, Marrah ?«
»Bist du mit jemandem in die Wälder gegangen? Bere hat sich nämlich schon Sorgen gemacht, daß du einen anderen jungen Mann gefunden hast, und –«
»He, beruhigt euch«, bat Marrah und lachte so sehr, daß sie kaum sprechen konnte. Zakur und Laino leckten ihr die Hände und schnüffelten an ihren Füßen, und jedesmal, wenn sie einen Schritt vorwärts zu machen versuchte, sprang einer der Hunde an ihr hoch, um sie daran zu hindern, wegzugehen. »Ich kann nicht mehr als eine Frage zu gleicher Zeit beantworten.« Sie schob die Hunde zur Seite, drückte Arang einen Kuß auf die Stirn und kreuzte die Arme vor der Brust zum Zeichen, daß sie nicht so bedrängt werden wollte, aber die Kinder bestürmten sie unaufhörlich mit Fragen und hüpften dabei ungeduldig von einem Fuß auf den anderen, genauso wie sie es vor drei Jahren getan hatte, als sie noch nicht nach Hoza hatte mitgehen dürfen. »Ich werde euch alles über Hoza erzählen, sobald ich mich gewaschen und etwas zu essen gehabt habe.«
»Du benimmst dich wie eine Erwachsene«, maulte Arang. »Ich wußte doch, daß es mir nicht gefallen würde, wenn du eine Frau bist. Wie kannst du auch nur daran denken, dich zu waschen, bevor du uns alles über das Essen und die Tänze erzählt hast? Bis du damit fertig bist, mit einem Lappen über dein Gesicht zu wischen, werde ich ein alter Mann sein! «
»Und ich werde noch ein viel älterer sein«, fiel Bere ein. Er trat vor und gab Marrah einen so langen, innigen Begrüßungskuß, daß die Zuschauer lachten und in die Hände klatschten.
»Er kann nicht ohne dich leben, Marrah«, rief Izirda und hielt das Kind Seshi hoch, damit Marrah sehen konnte, wie sehr es in den letzten beiden Wochen gewachsen war.
»Bere hat sich vor Kummer förmlich verzehrt«, stimmte Belaun zu.
»Er war unerträglich.«
Bere, der daran gewöhnt war, von den anderen aufgezogen zu werden, ignorierte den Spott und trat einen Schritt zurück, während er forschend Marrahs Gesicht betrachtete und ängstlich nach einem Anzeichen suchte, daß sie sich während ihrer Abwesenheit verändert hatte, aber ihr Lächeln
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