Alteuropa-Trilogie 2 - Die Schmetterlingsgöttin
Portion von dem Pulver hinein und reichte sie Marrah. »Trink das und hör den Hunden zu.«
Marrah fand den Befehl seltsam, aber sie trank gehorsam die Milch wie befohlen und lehnte sich in das Kissen zurück, um den Welpen auf ihrem Schoß zu streicheln. Er war ein weiches, warmes kleines Geschöpf, das Kissen erwies sich als kuschelig, und bald überkam sie eine tiefe Trägheit. Ihre Arme schienen knochenlos zu sein, ihre Beine fühlten sich wie warmer Schlamm an, und als sie zu sprechen versuchte, war ihre Zunge so weich und lappig wie roher BrotBratteig.
»Dieser Welpe hat ausgesprochen schlechte Manieren«, sagte plötzlich eine tiefe Stimme. Marrah zuckte erschrocken zusammen. »Aber das ist wohl kaum anders zu erwarten. In dem Alter sind sie alle wild und ungehorsam. Du kannst von Glück sagen, wenn er dir nicht auf den Schoß pinkelt.«
Die Stimme kam vom Fußboden. Marrah blickte hinunter und sah den alten weißen Hund zu ihr hochschauen. »Deine Füße riechen gut«, sagte er, aber seine Lippen bewegten sich nicht beim Sprechen.
Marrah war so verblüfft, daß sie den Hund nur wortlos anstarren konnte.
»Hast du eine Ahnung, wie viele Kaninchen da draußen jenseits der Rosenhecke herumlaufen? « fuhr der Hund in nüchternem Tonfall fort. »In meiner Jugend habe ich eine Menge von ihnen gefangen, aber jetzt verbringe ich den größten Teil meiner Zeit damit, vor dem Feuer zu dösen.«
Der Welpe wachte gähnend auf. »Spiel mit mir«, bat er. »Tobe mit mir herum. Hast du einen Lumpen, auf dem ich kauen kann? Ich liebe dich so sehr, Mutter Frau.« Er leckte Marrah die Hand. »Du schmeckst besser als gebratene Ente.«
Eine Spinne in der Ecke des Raums spann ihren silbrigen Faden. »Wir waren die allerersten Weber«, sagte sie. »Ihr Menschen habt es von uns gelernt, Schwester Frau.«
Eine Fliege summte um Marrahs Kopf und landete auf dem Rand der Milchtasse. »Ich sehe die Welt mit hundert Augen«, erklärte sie. »Glyntsa und ihr Liebhaber sind im Nebenzimmer; sie liegen auf dem Bett und essen Honigkuchen.«
Im Dachfirst des Hauses tschilpten die Spatzen, daß sich das Wetter ändere. »Wind aus dem Norden, Schnee gegen Abend bei Einbruch der Dämmerung. Paßt auf, Brüder, eine Eule jagt draußen auf den Weizenfeldern. Bleibt in euren Nestern!«
»Kannst du mich verstehen?« fragte Marrah den alten Hund. » Ja«, erwiderte der Hund. »Heulst du den Mond an?«
»Nein«, meinte sie. Die Frage des Hundes schien durchaus vernünftig, und sie erkannte, daß sie sich allmählich daran gewöhnte,
ihn sprechen zu hören.
»Du solltest es bei Gelegenheit mal versuchen«, sagte der Hund. »Es geht doch nichts über ein herzhaftes Heulen in einer mondhellen Nacht.«
Marrah wollte gerade etwas darauf erwidern, aber plötzlich fühlte sich ihre Zunge wieder bleischwer an, und ihre Augen schlossen sich wie von selbst. Der weiße Hund verschwamm zu einem milchigen Fleck, und der Welpe schmiegte sich an ihren Bauch. Sie schlief ein, und als sie wieder aufwachte, waren die Hunde fort –Glyntsa stand neben ihr.
»Haben sie mit dir gesprochen?«
Marrah blinzelte und gähnte. »Ich bin mir nicht sicher. Es klang sehr wohl danach, aber vielleicht habe ich auch nur geträumt. Eine Fliege hat mir erzählt, du wärst im Nebenzimmer mit deinem Liebhaber. Stimmt das? «
Glyntsa lachte. »Es stimmt tatsächlich. Aus diesem Grund dürfen nur eingeweihte Priesterinnen Tamah nehmen. Fliegen sind schreckliche Klatschtanten, und wenn jeder sie sprechen hören könnte, hätte keiner mehr seine Privatsphäre.«
Sie gab den Rest des Pulvers wieder in den Beutel und band ihn an ihren Gürtel. »Morgen nehme ich dich mit zu dem Tempel, wo dieses Pulver hergestellt wird. Es ist ein langer Prozeß; die Kräuter sind selten und schwer zu finden, und es liegt ein Fluch darauf, wenn man sie aus müßigen Zwecken einnimmt. Indem du dieses Pulver schluckst, nimmst du eine heilige Verantwortung auf dich. Du mußt versprechen, niemals den Tieren zuzuhören, außer wenn ein Menschenleben auf dem Spiel steht. Schwörst du es?«
»Ich schwöre! «
»Gut. Nachdem das geklärt ist, werde ich dir erlauben, das Pulver noch ein einziges Mal zu benutzen. Du hast ein Pferde-Tier, das aus der Steppe stammt. Sie ist ein einsames Geschöpf, weit weg von zu Hause, aber du kannst sie nicht lieben, weil du noch immer deine tote Stute, Eoru, liebst.« Sie rollte eine kleine Portion des Pulvers in ein Stück Fladenbrot, drückte die Enden zusammen und
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