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Alteuropa-Trilogie 2 - Die Schmetterlingsgöttin

Titel: Alteuropa-Trilogie 2 - Die Schmetterlingsgöttin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
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steckten. Schließlich ergab sie sich, zog die Handschuhe aus und machte sich mehr schlecht als recht ans Werk.
    Es war eine mühsame Prozedur, und bald wurde ihr bewußt, daß es sehr viel schwieriger sein würde, dem Imsha zu gehorchen, als Glyntsas Anweisungen zu befolgen. Die Feuersteinklinge war nicht besonders scharf, ihre Finger versteiften sich vor Kälte, und sie schnitt sich mehr als einmal in die Kopfhaut; aber wenn man einer Offenbarung teilhaftig wurde, dann tat man wie befohlen, ohne Fragen zu stellen; deshalb säbelte sie beharrlich vor sich hin, während sie sich fragte, ob Stavan wohl ähnlich empfand beim Entfernen seiner Barthaare.
    Was hätte er wohl gesagt, wenn er sie jetzt sähe? Er hatte ihr Haar immer geliebt. Schwarz wie die Schwingen eines Raben, pflegte er zu sagen, so lockig wie Rauch und so weich wie junges Gras. Er hatte es mit Hingabe gekämmt und geflochten und sogar einmal ein Gedicht darüber verfaßt, damals, bevor Keru und Luma auf die Welt kamen; jetzt schnitt sie die besungenen Locken kurzentschlossen und unfeierlich ab, als wären sie Unkraut auf einem Feld.
    Ihr Haar fiel in ihren Schoß und türmte sich zu ihren Füßen auf –dicke, geringelte Büschel, die wie feine Ranken ineinander verschlungen waren. Mit wachsendem Bedauern blickte sie auf die dunkle schimmernde Masse, aber sie führte ihr Vorhaben entschlossen zu Ende. Als sie fertig war, strich sie sich prüfend über ihren Kahlkopf. Er fühlte sich kalt und stoppelig an, und ihr ging auf, daß sie von nun an nicht nur im Freien, sondern auch im Haus einen Hut würde tragen müssen – vorausgesetzt, sie beträte jemals wieder eines.
    Sie sammelte ihre Haare auf, entwirrte die lockigen Strähnen, so gut sie es vermochte, band sie mit einem Stückchen Leder zusammen und präsentierte sie dem Imsha mit einer ehrerbietigen Verbeugung.
    Zu ihrer Überraschung wies das Imsha sie jedoch zurück. »Flechte es zu einem Netz.«
    Ein Netz? O je! Nur Vogeljäger konnten ein vernünftiges Netz aus menschlichem Haar knüpfen, aber sie arbeiteten niemals draußen im scharfen Wind oder mit einem Wirrwarr von Locken. Lockiges Haar eignete sich höchstens als Kissenfüllung, aber auf keinen Fall zum Flechten. Marrah seufzte und ermahnte sich zu Geduld. Dies diente ohne Zweifel der Prüfung, ob es ihr mit ihrer Weihung auch wirklich ernst war; wenn sie nicht so schrecklich gefroren hätte, hätte sie die Aufgabe vielleicht sogar als interessante Herausforderung betrachtet.
    Wieder zog sie ihre Handschuhe aus, hauchte Wärme auf ihre Fingerspitzen und machte sich daran, die längsten Haarsträhnen miteinander zu verflechten und sie zu den feinen Netzen zusammenzuknoten, die Jäger für kleine Vögel benutzten. Aber wie sie schon befürchtet hatte, war es fast unmöglich, ihr krauses Haar zu verarbeiten. Sie mühte sich lange Zeit ab, während sie ständig neue verhedderte Stellen und Knoten produzierte. Das Tageslicht verblaßte bereits, aber sie fuhr verbissen fort mit ihrer Aufgabe. Sie hoffte, das Imsha würde ihr endlich Einhalt gebieten, doch die mysteriöse Gestalt saß nur schweigend da.
    In dieser Nacht schlief Marrah hinter einem umgestürzten Baum, fest in ihren Umhang gewickelt, ihren kahlen Kopf in ihre Kapuze gehüllt und das lose Haar an ihre Brust gepreßt, damit es nicht wegwehen konnte. Als sie am nächsten Morgen erwachte, saß das Imsha immer noch auf demselben Felsblock, als hätte es sich die ganze Nacht lang nicht von der Stelle gerührt, und Marrah begann sich zu fragen, ob es ein Mensch oder wirklich ein göttliches Wesen war.
    Ein wärmendes Feuer und Frühstück würde es wohl nicht geben, soviel stand fest; aber zumindest war die Sonne inzwischen aufgegangen, und der Wind hatte nachgelassen; so machte Marrah sich wieder an die mühevolle Arbeit des Knüpfens, und gegen Mittag hatte sie tatsächlich so etwas wie ein Netz zustande gebracht, das zwar einige unregelmäßige Stellen aufwies, aber zum Spatzenfangen genügte. Zwischen zwei Büschen befestigt, würde das Netz aus ein paar Schritten Entfernung nicht mehr zu sehen sein, und wenn sie nicht aufpaßte, würde sie es womöglich vergessen und selbst hineinstolpern.
    Sie rollte ihr Werk sorgfältig zusammen und achtete darauf, daß die losen Enden sich nicht nach innen stülpten. Man brauchte schon eine geschickte Hand, um ein Netz aus menschlichem Haar zu flechten, und sie war stolz auf ihre Arbeit; aber ob das Imsha zufrieden war, ließ sich nicht

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