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Alteuropa-Trilogie 2 - Die Schmetterlingsgöttin

Titel: Alteuropa-Trilogie 2 - Die Schmetterlingsgöttin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
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reichte es Marrah. »Warte fünf Tage. Dann geh zu ihr, iß das hier und hör ihr zu.«
     
    Fünf Tage später betrat Marrah die Weide, wo die Pferde angebunden standen und trockenes Gras fraßen. Sie setzte sich auf einen Felsblock, schob sich das Stückchen Fladenbrot in den Mund und wartete. Lange Zeit geschah nichts. Dann, ganz allmählich, überwältigte sie wieder jene seltsame Trägheit, und sie schlief ein. Als sie aufwachte, sah sie die Pferde in der Nähe stehen, die sie voller Neugier beobachteten.
    »Es ist seltsam, wie sie sich zum Schlafen immer auf dem Boden ausstrecken«, sagte Ylata. Ihre Stimme war sanft. Sie legte ihren Kopf auf Nretsas Rücken und schlug mit dem Schweif.
    Nretsas Nüstern blähten sich leicht, und sie musterte Marrah mit großem Interesse. »Was meinst du, ob sie uns Äpfel mitgebracht hat?« Ihre Stimme klang tief und leicht rauchig.
    Marrah erhob sich. Einen Moment bildete sie sich ein, statt der Pferde zwei junge Frauen nebeneinanderstehen zu sehen, die die Arme um die Taille der jeweils anderen geschlungen hatten. Sie streckte die Hand aus und streichelte Nretsas Hals, fühlte die seidige Glätte von Pferdehaar unter ihrer Hand.
    »Bist du einsam?« fragte sie. Die Stute schien nichts Ungewöhnliches an der Frage zu finden oder an der Tatsache, daß Marrah sie gestellt hatte.
    »Ich vermisse die Steppe«, antwortete Nretsa, »und den weiten Himmel, das endlose flache Land und den süßen Duft des hohen Grases unter meinen Hufen, wenn ich galoppiere. Aber die Nomaden, die mich früher so oft geschlagen haben, vermisse ich nicht.« Sie schob ihre samtige Nase in Marrahs Handfläche und schnaubte leise. »Du schlägst mich nie. Ich liebe dich, Mutter Frau. Ich liebe es, wenn du mit mir sprichst, aber am schönsten ist es für mich, wenn wir zusammen reiten und du mir etwas vorsingst.«
    »Dann werde ich dir von jetzt an öfter vorsingen«, versprach Marrah, schlang ihre Arme um Nretsas Hals und preßte ihre Wange gegen die der Stute.
     
    Dritte Einweihung: Ein Geschenk aus dem Land der Träume
     
    Eine Woche nach ihrer Unterhaltung mit Nretsa saß Marrah hoch oben in den Hügeln neben der Quelle der Heilung von Keshna und sah, wie die Oberfläche allmählich zufror. Das Eis wurde unaufhaltsam dicker, wirkte so milchig und trübe wie ein blindes Auge. Kein schlechter Vergleich, dachte Marrah. Sie starrte auf die helle Fläche, und die Quelle starrte zurück, ohne sie zu sehen – genau wie das Imsha. Oder vielleicht sah das Imsha sie doch. Wer wußte das schon?
    Seit Marrah in die Hügel gekommen war, um mit der dritten Phase ihrer Einweihung zu beginnen, hatte die verschleierte Gestalt jedenfalls noch keine Notiz von ihrer Anwesenheit genommen. Das Imsha saß nur schweigend auf seinem Felsblock, die Arme um die Knie geschlungen und vermutlich in Gedanken versunken, die zu tiefschürfend waren, als daß gewöhnliche Sterbliche daran hätten
    teilhaben können. Bisher hatten sie kein einziges Wort gewechselt.
    Es war jetzt später Nachmittag, und ein scharfer Wind blies von Norden her; heftige Böen peitschten Schnee durch die Luft und schleuderten Staub und Kiefernnadeln in ihre Gesichter, aber das Imsha schien gleichgültig gegenüber dem Wetter. Vielleicht lebte es ständig im Freien, und die beißende Kälte machte ihm ebensowenig aus wie einem Biber oder einem Bären; Marrah konnte sich auch vorstellen, daß es ganz einfach mehr warme Unterwäsche trug als sie.
    Sie bedeckte ihre Nase mit ihren Fausthandschuhen und hauchte ein wenig Wärme hinein. Sie fragte sich gerade müde, ob sie wohl den ganzen Tag hier sitzen müßte, als das Imsha plötzlich mit einem Rauschen von schwarzen Schleiern zu ihr herumfuhr, das Marrah an Krähenflügel erinnerte.
    »Schneide dein gesamtes Haar ab«, befahl es. Die Worte ertönten in Alter Sprache, aber der Akzent war seltsam, als ob es jedes Wort wie einen kleinen Ball über die Zunge rollen ließ.
    Obwohl ihr diese Zumutung gar nicht behagte, in einer Kälte, bei der einem Kaninchen die Pfoten abfrieren konnten, ihr Haar abzuschneiden, hörte Marrah mit Erleichterung das Imsha endlich sprechen. Ihre Geduld hatte sich ausgezahlt: Sie war also akzeptiert, und die dritte und letzte Stufe der Rituale konnte beginnen. Sie verbeugte sich gehorsam vor der verschleierten Gestalt, zog ihr Messer aus seiner Lederscheide und überlegte, wie sie es anstellen sollte, sich die Haare zu schneiden, während ihre Hände in dicken Fausthandschuhen

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