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Alteuropa-Trilogie 2 - Die Schmetterlingsgöttin

Titel: Alteuropa-Trilogie 2 - Die Schmetterlingsgöttin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
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ich in der Steppe aufgewachsen bin. Bis ihr mich nach Süden gebracht habt, habe ich nie etwas Steileres als den Rücken eines Pferdes gesehen.«
    Marrah setzte sich mit Hiknak auf einen kleinen Felsblock, während Hiknak einen Moment verschnaufte und Mut für den weiteren Aufstieg sammelte. Marrah schoß der Gedanke durch den Kopf, daß vielleicht alle Nomaden Angst vor Höhe hatten, und als sie Hiknak danach fragte, bestätigte diese eine solche Möglichkeit.
    Wenn es tatsächlich so war, dann konnten die Sharaner einen Vorteil haben, an den bisher niemand gedacht hatte. Es war tröstlich, sich vorzustellen, wie Vlahans Krieger vor Angst zitterten, während sie den Pfad heraufkrochen, und wenn ein paar von ihnen schwindelig wurden und stürzten, um so besser.
    In Hiknaks Wangen kehrte erst wieder die Farbe zurück, als sie den Felsvorsprung erreichten und sich der Pfad wieder verbreiterte. Bald erreichten sie die ersten Zelte, die dicht an dicht aufgestellt waren, so daß kaum genug Platz war zum Gehen zwischen den Seilen. Körbe mit Vorräten und Bündel von Haushaltsgegenständen lagen zu Haufen aufgetürmt, und sämtliche Bewohner der Stadt drängten sich hier oben, während sie sich lebhaft unterhielten, auf kleinen Feuerstellen kochten, Decken ausschüttelten oder darauf warteten, Wasser aus der Quelle zu schöpfen.
    Ziegen blökten und Hunde bellten so laut, daß man fast schreien mußte, um sich über den Lärm hinweg zu verständigen. Die Luft roch nach Rauch, angebranntem Ragout und ungewaschenen Körpern. Es herrschte eine solch drangvolle Enge, daß kaum genug Platz blieb, um sich hinzusetzen.
    Sobald die Sharaner Marrah erblickten, ließen sie alles stehen und liegen und eilten auf sie zu, wobei alle gleichzeitig auf sie einredeten; sie erkundigten sich nach Neuigkeiten, sprachen ihr Beileid aus, tätschelten tröstend ihre Schulter und küßten sie auf die Wangen. Die Jäger, die auf Heusäcke geschossen hatten, um sich im Zielen zu üben, präsentierten stolz ihre Bögen, und die Mitglieder des neugebildeten Verbandes für die Verteidigung von Shara schwangen begeistert ihre Speere.
    »Marrah ist aus Kataka zurück!«
    »Marrah ist von ihrer Einweihung in die Kräfte der Dunklen Mutter zurück! «
    »Sie ist gekommen, um unsere Kriegskönigin zu sein.« »Marrah, wir werden diese Nomaden sofort wieder in die Steppe zurücktreiben! «
    »Marrah, sprich zur Göttin und bitte sie, diese bösen Menschen zu verjagen.«
    »Wir brauchen mehr Feuerholz.«
    »Mehr Zelte.«
    »Und mehr Pfeile.«
    »Zeig uns, wie wir Schatten finden vor der Sonne.«
    Als sich Arang einverstanden erklärt hatte, den Weizen zu verbrennen und sie die Pferde auf die Klippen bringen zu lassen, hatte Marrah einen Moment das Gefühl der Macht genossen, das das Amt der Kriegskönigin mit sich brachte. Aber nachdem sie das halbe Lager durchquert hatte, war sie an einem Punkt angelangt, wo sie einiges dafür gegeben hätte, wieder eine gewöhnliche Stammesgenossin zu sein. Wie konnten sie und Arang nur die Verantwortung für so viele Menschen übernehmen? Sie waren beide noch zu jung und unerfahren, um einer solchen Aufgabe gewachsen zu sein. Sie hatten keine Ahnung von dem, was ihnen oblag; sie organisierten die Verteidigung von Shara mehr oder weniger aufs Geratewohl, und ohne Hiknak wären sie niemals darauf gekommen, den Weizen zu verbrennen.
    Ich bin einfach nicht fähig, eine Königin zu sein, dachte Marrah bedrückt, und sie lief zum Tempel der Kinderträume, um Lalah zu finden und es ihr zu sagen. Doch jeder etwaige Gedanke daran, die Macht wieder ihrer Großmutter zu übertragen, erstarb in dem Moment, als Marrah sie entdeckte.
    Lalah sah schrecklich aus: Ihre Haare waren vollkommen ergraut, ihre einst so festen, kräftigen Arme mager, ihre starken Beine dünn geworden wie Stöcke. Etwas saugte alle Lebenskraft aus ihr heraus, und Marrah brauchte sich nicht sonderlich anzustrengen, um zu erkennen, was das war.
    »Ich möchte hinuntergehen und gegen die Nomaden kämpfen, aber Arang und Bindar wollen es mir nicht erlauben«, verkündete Lalah, noch bevor Marrah den Mund geöffnet hatte. »Wie kann ich tatenlos hier oben hocken und die Stadt diesen Mördern überlassen? Die Große Schlange braucht mich, um sie zu verteidigen.« Lalahs Augen waren noch immer dunkel und grimmig, aber es glomm jetzt ein neuer Ausdruck darin auf, einer, der Marrah das Gefühl vermittelte, ihre Großmutter nähme sie kaum wahr. Lalah schien weit weg, wie

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