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Alteuropa-Trilogie 2 - Die Schmetterlingsgöttin

Titel: Alteuropa-Trilogie 2 - Die Schmetterlingsgöttin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
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die heilige Quelle aufzusuchen.
    Oberhalb des Vorsprungs, auf dem sich das Lager befand, ragte eine zweite Felsformation auf, so glatt und schroff, daß nicht einmal eine Eidechse dort Halt finden konnte. Ohne diese unbarmherzige Felswand hätten die unteren Klippen nur wenig Schutz geboten, da die Nomaden einfach von der anderen Seite aus hätten heraufklettern können. Aber die Rückseite des Berges war so steil, daß es keiner jemals geschafft hatte, sie zu erklimmen. Lange Risse zogen sich durch den Schräghang, als wäre jemand mit einem gewaltigen Messer auf den Stein losgegangen, und nur ein paar zähen Grasbüscheln gelang es, sich oberhalb des Abgrunds festzuklammern.
    Die abweisenden Klippen lagen ein wenig tiefer, knapp links oberhalb der letzten Windung des Pfades – wo schützend über dem Lager ihre glattpolierten Kuppen aufragten. Seit Generationen hatten sharanische Dichter die runden Felsen mit den straffen Bäuchen schwangerer Frauen verglichen, und als Marrah sie jetzt betrachtete, fühlte sie große Beruhigung, daß ihr Volk den bestmöglichen Zufluchtsort gewählt hatte.
    Als sie bei dem Pfad anlangten, saßen sie ab und machten sich zu Fuß an den Aufstieg, wobei sie ihre Pferde am Zügel führten. Marrah hatte erst wenige Schritte getan, als plötzlich eine vertraute Stimme nach ihr rief; sie blickte auf und sah Arang mit zwei Wachtposten auf einem Felsen an der zweiten Biegung des Pfades stehen. Arang hatte die Hände in die Hüften gestützt und starrte auf sie herunter, balancierte am Rand des Abgrunds wie ein Tänzer, der im Begriff ist, einen kühnen Sprung zu wagen.
    »Geh vom Rand weg! « schrie sie. »Du könntest stürzen! «
    »Was für eine seltsame Art, seinen Bruder zu begrüßen!« rief Arang zurück; er sprang so leichtfüßig wie eine Ziege von Fels zu Fels abwärts und zog sie in seine Arme. »Marrah, liebste Schwester, du bist das Schönste, was ich seit Monaten gesehen habe! «
    Er hätte vielleicht noch mehr gesagt, aber in diesem Moment stürzten sich Hiknak und Keshna mit lauten Jubelrufen auf ihn. Als Arang sich schließlich aus ihrer Umarmung löste und sich alle die Freudentränen aus den Augen wischten, erkundigte sich Marrah nach Luma.
    »Wie geht es meinem kleinen Mädchen? Ist sie wohlauf? Wann kann ich sie sehen?« Plötzlich überkam sie ein überwältigendes Bedürfnis, Luma in die Arme zu nehmen, sie an sich zu drücken und ihr fröhliches Lachen zu hören. Eine übermütige Fünfjährige war immer fähig zu lachen – selbst in so schweren Zeiten wie diesen. Solch ein Segen wurde nur Kindern zuteil: Sie lebten in einer Welt, wo es stets irgendwelche Freuden gab. Aber es sollte kein Wiedersehen mit Luma geben, wie Marrah gleich darauf erfuhr, zumindest einstweilen nicht.
    »Sie ist nicht hier«, erklärte Arang, »genausowenig wie die anderen kleineren Kinder. Wir haben die Kinder und alle stillenden Mütter gestern nachmittag in Boote verfrachtet und sie nach Süden zur Insel Byana geschickt, wo sie in Sicherheit sind. Ich wünschte, ich hätte alle Bewohner der Stadt evakuieren können, aber bei nur acht Booten ...« Er zuckte die Achseln.
    Natürlich sollte Marrah erleichtert sein, daß Luma sich nicht mehr in der Gefahrenzone aufhielt; dennoch wurde sie ihrer Enttäuschung kaum Herr, daß sie ihre süße Tochter verpaßt hatte, und das um nur einen Tag! Hiknak mußte ebenfalls mit Arang unzufrieden sein, weil sie ihn voller Bestürzung anblickte.
    »Du hast die Kinder gestern nachmittag weggeschickt? Aber, Arang, was ist mit Keshna? Hättest du nicht wenigstens warten können, bis sie mitfahren konnte? « Hiknak zog Keshna an sich und streichelte voller Sorge ihr Haar. »Warum hast du nicht wenigstens ein Boot für sie zurückbehalten? Sie hat so furchtbare Dinge durchgemacht; ich möchte, daß sie hier rauskommt, bevor sie wieder shohwar wird.«
    »Kommt mit, laßt uns den Pfad noch ein Stück weiter hinaufklettern«, sagte er, »und dann werde ich euch zeigen, warum wir nicht warten konnten.«
    Er nahm Keshna auf den einen Arm, legte seinen anderen um Hiknaks Taille und führte sie höher hinauf. Als sie die zweite Wegbiegung erreicht hatten, wies er die Frauen an, sich umzudrehen, damit sie über den Fluß hinweg nach Norden sehen konnten. Es war ein vertrauter Anblick: die Felder und Weiden; Shara; der Wald; die lange Kurve der Küste; die riesige Fläche des Süßwassersees mit seinen glitzernden Wellen. Aber da zeigte sich noch etwas anderes am

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