Alteuropa-Trilogie 2 - Die Schmetterlingsgöttin
Horizont, etwas Neues. Es war nicht viel auszumachen – nur ein kleiner dunkler Fleck – aber Marrah sah bald, daß es Rauch von einem brennenden Dorf war.
»Die Wachtposten haben den ersten Rauch vor drei Tagen entdeckt«, erklärte Arang, »und jeden Tag rückt er näher.«
Marrah fühlte, wie sich die Härchen in ihrem Nacken alarmiert aufrichteten. Jetzt war es also soweit: Die Nomaden waren wirklich angekommen. »Irgendwelche Flüchtlinge? « fragte sie gepreßt.
Arang nickte. »Ungefähr ein Dutzend bis jetzt. Wir haben sie aufgenommen und für sie getan, was wir konnten; aber sie verbringen den größten Teil ihrer Zeit damit, um ihre Toten zu weinen. Alle erzählen dieselbe Geschichte: ein Überraschungsangriff durch eine Nomadenhorde, die meisten Männer getötet, die Frauen und Kinder gefangengenommen. Nur wenige konnten fliehen. Wir haben Boten ausgeschickt, um die anderen Dörfer zu warnen; aber was nützt eine Warnung schon, wenn man sich eine solche Gefahr nicht vorstellen kann.
Zum Glück haben die Nomaden erst mit den Überfällen begonnen, als sie in die Nähe von Shara kamen. Leider reiten bereits viele von ihnen in unsere Richtung – und nicht nur Krieger, sondern auch Frauen und Kinder. Sie bringen ihre Zelte mit, Pferde und ihr Vieh – ich fürchte, es bedeutet, daß sie vorhaben, auf Dauer hier zu bleiben.«
Sie standen Seite an Seite, während sie auf den Rauch in der Ferne starrten. Keshna schmiegte ihre Wange an die Arangs. Ihr kleines Gesicht war blaß und angespannt, und sie sagte nichts. Marrah hätte Keshna so gerne getröstet, aber wie tröstete man ein kleines Mädchen, das die Greueltaten der Nomaden am eigenen Leibe erlebt hatte?
»Wie lange wird es wohl noch dauern, bis sie hier sind?« fragte Dalish.
»Zwei Tage, vielleicht auch weniger.« Arang wandte sich an Marrah. »Gut, daß du nach Hause gekommen bist! Ich habe getan, was ich konnte, um den jungen Männern und Frauen beizubringen, im Stil der Hansi zu kämpfen, damit wir nicht wie die Dörfer überrannt werden, aber es ist verdammt schwierig. Der Ältestenrat hat erklärt, daß wir uns um jeden Preis verteidigen sollten, doch es gibt immer noch ein paar Dummköpfe, die überzeugt sind, wenn wir den Nomaden nur genug Respekt erweisen, werden sie wieder abziehen und uns in Ruhe lassen.
Ein paar der älteren Priesterinnen haben es als ihre heilige Pflicht erklärt, hinunterzugehen und allen Nomaden zu helfen, die wir möglicherweise verletzen. Ich habe ihnen genau dargelegt, was ihnen passieren würde, wenn sie das täten, und seitdem haben sie sich noch nicht wieder dazu geäußert; aber du kannst sehen, mit welchen Widerständen ich mich herumschlagen muß.
Onkel Bindar weigerte sich, die Stadt zu verlassen. Wir mußten ihn beinahe hinter uns herzerren. Und was Großmutter angeht ...« Er hielt inne. »Nun, du wirst sie ja bald sehen, und dann kannst du dir ein eigenes Urteil bilden.«
»Ist sie krank?«
»Nicht direkt.« Er senkte den Blick, so wie er es immer tat, wenn er nicht reden wollte, und Marrah wußte, sie würde kein weiteres Wort über Lalah aus ihm herausbekommen. Er wandte sich zu den Pferden um, die friedlich die trockenen Grasbüschel am Rand des Pfades fraßen, stellte Keshna auf die Füße, griff nach allen drei Paar Zügeln und hielt sie locker in den Händen.
»Wir werden die Pferde leider wieder hinunterbringen und in die Wälder treiben müssen. Alles Vieh und die meisten anderen Tiere haben wir vor fünf Tagen weiter stromaufwärts an eine Stelle gebracht, wo die Nomaden sie nicht finden können. Zwei Personen aus jedem Clan passen auf sie auf, aber es ist zu spät, um diese armen Geschöpfe hier noch in Sicherheit zu bringen, und oben im Lager haben wir nicht genug Platz für Tiere, abgesehen von ein paar Milchziegen.«
»Kommt nicht in Frage«, erwiderte Marrah fest. »Ich kann und werde die Pferde nicht aufgeben.« Sie nahm Arang die Zügel aus der Hand und hielt sie beharrlich umklammert. »Ich habe diesen Stuten versprochen, nie wieder zuzulassen, daß sie den Nomaden in die Hände fallen. Weißt du nicht mehr, was Changar Eoru angetan hat? «
»Marrah, ich weiß, du liebst diese Pferde wie Freundinnen, aber wir haben wirklich keine Wahl. Oben auf den Klippen herrscht drangvolle Enge, und es könnte uns an Wasser mangeln.«
»Entweder gehen die Pferde mit uns hinauf, oder ich bleibe mit ihnen hier unten.«
»Aber ...«
»Du bist der Kriegskönig, Arang, und ich bin die
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