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Alteuropa-Trilogie 2 - Die Schmetterlingsgöttin

Titel: Alteuropa-Trilogie 2 - Die Schmetterlingsgöttin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
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Nachmittag, bevor die Felder so richtig zu schwelen aufgehört hatten, tauchten die ersten feindlichen Truppen auf.
    Bald folgten weitere Verbände, wie Ameisen von verschüttetem Honig angelockt. Den ganzen Tag über strömten sie aus den Wäldern und überquerten den Fluß: halbnackte, wild tätowierte Männer; schwarzgekleidete Frauen; Pferde, die das Gepäck zogen; Rudel wolfsähnlicher Hunde und Jungen, die Herden von Ziegen, Schafen, edlen Pferden und dürren Nomadenrindern vorwärtstrieben.
    Als die Dämmerung herabsank, brannte Shara lichterloh, und als die Sharaner oben auf den Klippen standen und zuschauen mußten, wie ihre Stadt in Flammen aufging, stöhnten sie und fluchten und flehten Batal an, das Feuer zu löschen.
    Lalah tat etwas Bemerkenswertes an jenem Abend. Als Marrah zu ihr kam, um ihr zu sagen, daß Feuer die Stadt vernichtete, schien Lalah sich plötzlich wieder daran zu erinnern, wer sie war. Sie erhob sich von ihrem Platz, marschierte zum Tempel hinaus und bestand darauf, daß Arang sie auf einen Felsblock hob – mit eigenen Augen wollte sie den Untergang der Stadt sehen. Lange Zeit stand sie da, die Hände in die Hüften gestemmt, und beobachtete mit starrer Miene, wie die Mutterhäuser in Flammen aufgingen. Sie schaute zu, wie Dächer einstürzten und Wände zu Boden sanken und wie die Große Schlange der Zeit Blasen warf und zersprang; als alles vorbei und die Stadt nichts weiter als ein glimmendes Trümmerfeld war, kehrte sie um und sprach zu ihrem Volk.
    »Hört mir zu!« rief sie, und alle verstummten überrascht. »Hört mit diesem Gejammer auf. Was macht es schon, wenn unsere Häuser und Tempel zerstört sind? Wir sind nicht unsere Häuser und Tempel. Wir haben Shara nicht verloren. Wir 
sind
 Shara!«
    Es waren tapfere Worte – doch am nächsten Morgen, als Marrah aufwachte und die Nomaden neben der zerstörten Stadt lagern sah, verließ sie der Mut; sie zog sich an eine Stelle zurück, wo niemand sie entdecken konnte, vergrub ihr Gesicht in den Händen und trauerte um Stavan und Keru und Shara und alles, was sie verloren hatte.
    Aber Trauer war ein Luxus, den sie sich nicht leisten konnte. Bald hörte sie auf zu schluchzen, trocknete sich die Augen und ging zu ihrem Zelt, um ihr magisches Netz zu holen. Als sie sich mit dem Gesuchten in der Hand auf den Weg zur Traumhöhle machte, dachte sie über die Monate nach, die sie in Kataka verbracht hatte. Sie mochte wohl längst nicht alles wissen, was ihr jetzt not täte, aber wahrscheinlich war sie die einzige Priesterin südlich des Rauchflusses, die die vollständige Einweihung erfahren hatte; also war für sie die Zeit gekommen, an einen Ort zu gehen, wo sie endlich die Kräfte beschwören wollte, die ihr verliehen worden waren.
     
    Die Traumhöhle bestand in der Tat aus drei Höhlen: zwei kleinen und einer großen, die durch einen sich mehrfach windenden Eingangstunnel erreichbar waren, bis vollkommene Stille herrschte. Seit unzähligen Generationen suchten die Priesterinnen von Shara die dritte Höhle um Visionen flehend auf, und es gab eine alte Überlieferung, daß dort schon lange, bevor Batal die Stadt gegründet hatte, die erste Sharanische Mutterfamilie gelebt und die Göttin verehrt hatte.
    Schon ewig – länger als sich irgend jemand zurückerinnern konnte – waren die Wände der dritten Höhle rot bemalt als Symbol des lebensspendenden Blutes der Mutter Göttin; aber abgesehen davon fehlte in der Höhle jeglicher Schmuck bis auf eine große steinerne Platte voller Schlaffelle, wo die Träumenden lagen, und eine oder zwei Tonlampen, die stets brannten.
    Als Marrah die dritte Höhle betrat, stand sie einen Augenblick still da, um ihre Augen an das gedämpfte Licht zu gewöhnen. Dann ging sie zur gegenüberliegenden Wand und hängte ihr Netz zwischen zwei kleinen, schlangenförmigen Lampenhaken auf. Das Netz bauschte sich leicht, warf ein spinnwebartiges Muster von Schatten an die Wand, nicht größer als aneinandergelegte Handflächen.
    Dann setzte Marrah sich auf die Traumplattform, kreuzte die Beine und atmete tief durch. »Aba«, murmelte sie. »Shallah, Nashah.« Lange Zeit saß sie reglos dort, während sie die Namen der Dunklen Mutter rezitierte; aber sie vermochte sich einfach nicht zu konzentrieren, und ihre Gedanken hoben sie nicht über sich selbst hinaus. Die Flamme in der kleinen Öllampe flackerte hypnotisch, doch alles, woran sie denken konnte, waren Stavan und Keru und die Zerstörung von

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