Alteuropa-Trilogie 2 - Die Schmetterlingsgöttin
daran, daß die Sklavinnen darauf brannten, ihre Freiheit wiederzuerlangen; das war ein Glück, denn Marrah hatte ihrer aller Leben in die Waagschale geworfen, daß es so sein möge. Aber was sie für jene Freiheit zu
tun
bereit waren, stand auf einem völllig anderen Blatt. Als Marrah in dem stickigen Zelt saß und den Sklavinnen ihren Plan Schritt für Schritt erläuterte und so oft wiederholte, bis sie verstanden, konnte sie fühlen, wie die Furcht der Frauen wuchs, bis sie das winzige Zelt zu sprengen schien.
Zuerst erklärte sie, daß sie vorhabe, die Nomaden zu vergiften, Verwirrung in ihren Reihen zu stiften und sie aus Shara und vielleicht sogar ganz aus den Mutterländern zu vertreiben. Die Frauen begriffen dies auf der Stelle und begrüßten die Idee mit einiger Begeisterung.
Daraufhin beschrieb sie das Gift in den Muscheln, die auf dem Grund des Süßwassersees lagen oder im Sand entlang seiner Ufer, und daß sie ihre Hilfe beim Sammeln brauche, um genügend Muscheln zu finden; überdies müßten sie weitere Sklavinnen dazu überreden, ihnen zu helfen, und allein diese Sklavinnen – nicht die Sharaner – hätten die Möglichkeit, das Muschelfleisch in die Kochtöpfe der Nomaden zu schmuggeln. Die Frauen verstummten.
Um sich herum konnte Marrah fühlen, wie die Sklavinnen vor Angst schlotterten, und noch bevor sie zu Ende gesprochen hatte, schienen sie kaum mehr zu atmen. Da ihr bewußt war, daß sie ihr entglitten, beeilte sie sich, ihnen zu versichern, daß die Nomaden niemals etwas argwöhnen würden, bevor das Gift wirkte.
Die Nomaden kamen aus der Steppe; sie kannten nur Flußfische, ohne eine Ahnung, daß der Verzehr von Seemuscheln zu bestimmten Jahreszeiten gefährlich war; aber alles, was Marrah sagte, schien die Dinge nur noch zu verschlimmern.
Sie konnte den Frauen kaum einen Vorwurf daraus machen, daß sie bebten bei der Vorstellung, ihre Herren und Besitzer zu vergiften – denn falls die Nomaden vorzeitig dahinterkamen, würde Vlahan dafür sorgen, daß sie eines unsäglich grausamen Todes starben.
Aber sie selbst hatte ein ebenso qualvolles Ende riskiert und Hiknak und Dalish desgleichen mit ihrem Erscheinen im feindlichen Lager. Sollten sie nun ihr Leben für nichts und wieder nichts auf Spiel gesetzt haben? Die Macht besessen haben, den Kampf zu gewinnen, und dann doch zu scheitern? Dem Sieg so nahe zu sein, um ihn sich zu guter Letzt entreißen zu lassen? Eine so niederschmetternde Enttäuschung, wie sie sie noch nie zuvor erlebt hatten, wollte sie in die Knie zwingen.
Marrah drängte, bettelte, flehte die Frauen mit Engelszungen an, nicht die Chance zu vergeuden, die ihnen die Dunkle Mutter hier anbot. Schließlich, als ihr beim besten Willen keine Argumente mehr einfielen, um die Frauen für ihr Vorhaben zu gewinnen, verstummte Marrah und wartete auf eine Reaktion – aber die Sklavinnen saßen nur reglos da wie die Tonstatuen von Kataka.
Ich habe verloren, dachte sie verzweifelt, und vor ihren Augen erstand der Ältestenrat, dem sie ihr Versagen gestehen mußte. Ohne die Hilfe der Sklavinnen war der Wink der Dunklen Mutter wertlos; die Belagerung würde den ganzen Winter über andauern, und die Nomaden würden erst dann abziehen, wenn der letzte Sharaner tot war.
In der Finsternis hüstelte jemand, und eine Gestalt erhob sich, tastete sich durch das Zelt, schlug die Klappe zurück, verschwand. Eine andere folgte. Damit blieben zwei übrig. Marrah wartete darauf, daß sie ebenfalls gingen, aber die Zeit verfloß, und keine von beiden rührte sich.
»Also«, wisperte plötzlich eine Stimme im Dunkeln, »du sagst, wir müssen andere Sklavinnen dazu überreden, uns beim Muschelsammeln zu helfen. Wie sehen diese Muscheln denn aus, und was meinst du, wie viele Körbe voll brauchen wir, um diese Bastarde zu vergiften?« Das Wort Bastard wurde natürlich auf hansi gesprochen, weil es weder im Sharanischen noch in irgendeiner anderen Sprache der Muttervölker ein solches Wort gab; sobald Marrah es vernahm, wußte sie, daß sie wenigstens eine Helferin gewonnen hatte.
Bevor sie antworten konnte, meldete sich die Dolmetscherin zu Wort. »Keine Sorge, Shacta. Du brauchst mir nur zu folgen und du kriegst genügend Muscheln zu Gesicht, um hundert Körbe damit zu füllen. Ich komme aus einem kleinen Dorf am Süßwassermeer, gesegnet sei sein trauriges Angedenken, und habe mein ganzes Leben lang nach Muscheln gegraben – zur richtigen Jahreszeit natürlich. Gegenwärtig sind sie extrem
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