Alteuropa-Trilogie 2 - Die Schmetterlingsgöttin
giftig, und keiner, der seine fünf Sinne beisammen hat, würde sie jetzt essen.
Aber die Krieger schwärmen für Fischsuppe. Sie schlürfen das Zeug wie die Schweine, seit wir hier unser Lager errichtet haben, und ich garantiere dir, wenn wir noch ein paar schmackhafte Brocken in die Brühe werfen, werden sie uns dankbar sein. Wie Marrah schon sagte, kommen die Bastarde aus einer Gegend, wo es keine solche Muscheln gibt – also, woher sollten sie dann wissen, wie gefährlich der Verzehr sein kann, bevor es sie erwischt?
Ich behaupte, daß Freiheit jedes Risiko wert ist. Es ist immer noch besser, im Kampf zu sterben, als bis in alle Ewigkeit hier eingesperrt zu sein, um geschändet zu werden, wann immer es ihnen gefällt.«
Marrah hätte es selbst nicht besser ausdrücken können, und am liebsten hätte sie die Frauen vor lauter Dankbarkeit geküßt; aber nachdem sie sie jetzt für ihr Vorhaben gewonnen hatte, gab es noch mehr zu sagen, und sie mußte rasch damit herausrücken, um nicht der Heimtücke geziehen zu werden.
Es war eine schreckliche Konsequenz, so schrecklich, daß ihr der Ältestenrat fast verboten hätte, ins Nomadenlager zu gehen, als sie es ihm eröffnet hatte; doch in dieser neuen Welt von Krieg und Tod mußte nun einmal manch schmerzliche Wahl getroffen werden. Diese spezielle Wahl verstieß gegen jeden Brauch der Muttervölker und gegen die Gesetze der Göttin Erde selbst, aber niemand in Shara hatte eine Möglichkeit gesehen, sie zu umgehen.
Trotzdem hegte Marrah immer noch einen Funken Hoffnung, und deshalb formulierte sie das, was sie zu sagen hatte, als Frage.
»Wenn ihr die Muscheln in die Fischsuppe gebt, könnt ihr dann irgendwie dafür sorgen, daß nur die Krieger davon essen?«
Langes Schweigen trat ein, als den Frauen dämmerte, was ihr Verzweiflungsanschlag nach sich ziehen könnte. Wenn die Suppe nicht ausschließlich den Kriegern vorbehalten blieb, würden auch die Frauen und Kinder davon essen, und dann müßten auch sie zugrunde gehen.
»Nein«, sagte die Dolmetscherin schließlich. Es war nur ein Wort, aber so kalt und lapidar, daß es in der Dunkelheit zu Eis zu gefrieren schien. »Wir sind nur Sklavinnen. Wir können die Muscheln sammeln und die Suppe zubereiten, können aber nicht bestimmen, wer davon essen darf und wer nicht. Die Krieger werden immer als erste bedient, und Fischsuppe ist eine besondere Delikatesse – deshalb kann es sein, daß sie den größten Teil davon aufgegessen haben, bevor die Frauen und Kinder einen Löffel voll abbekommen, aber ...« Sie verstummte, und wieder herrschte eine Weile Schweigen.
Schließlich sprach Marrah: »Wie du weißt, habe ich einen Sohn in diesem Lager.«
»Einen, den du von ganzem Herzen liebst.« Dies war wieder die Dolmetscherin.
»Richtig, den ich von ganzem Herzen liebe! «
»Und trotzdem bittest du uns, deinen Vorschlag in die Tat umzusetzen? «
»Ja.« Marrah brauchte den Frauen nicht zu sagen, daß es die qualvollste Entscheidung war, die sie jemals getroffen hatte, brauchte ihnen nicht zu erklären, wie ihr zumute war. Hände streckten sich ihr aus der Schwärze entgegen und schlossen sich um ihre.
Die Frauen streichelten ihre Schultern und zogen sie an sich; als sie dann die Tränen auf Marrahs Wangen spürten, begannen sie, mit ihr zu weinen. »Wir verstehen«, flüsterten sie. »Du bist eine Mutter, und auch wir waren einmal Mütter. Wir hatten Töchter und Söhne, bevor die Nomaden sie töteten. Wir verstehen, kleine Königin. Wir verstehen.«
Während Marrah und die Sklavinnen in dem dunklen Zelt saßen und um ihre Kinder weinten, schmiedete Vlahan Pläne, die den Frauen das kalte Grausen beschert hätten.
Alsbald rief er Changar in sein Zelt. Es war schon spät in der Nacht, und Vlahan hatte reichlich über den Durst getrunken, als Changar eintraf; aber als er sprach, kamen seine Worte klar und deutlich aus seinem Mund, ohne ein Anzeichen von Übelkeit, die ihn gewöhnlich nach einem oder zwei Schläuchen Kersek befiel.
»Ich habe nachgedacht«, leitete Vlahan ein.
Changar zwang sich, erfreut auszusehen. Wenn Vlahan »nachdachte«, bedeutete das gewöhnlich nichts Gutes.
»Über diese Kapitulation ...«
Changar wartete schweigend, doch Vlahan saß nur da, zupfte an seinem Bart und starrte auf eine der Zeltstangen, als erwarte er, grüne Zweige daraus hervorsprießen zu sehen. Draußen bellte ein Hund, und jemand – wahrscheinlich eine der Wachen – hustete. Schließlich verlor Changar die
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