Alteuropa-Trilogie 2 - Die Schmetterlingsgöttin
um das Feuer, alle barhäuptig. Ihre Gesichter waren tätowiert, aber nicht geschminkt, und sie trugen keinerlei Schmuck. In einem Nomadenlager war jede barhäuptige Frau ohne Gesichtsbemalung eine Sklavin.
Marrah bemerkte erleichtert ihre dunkle Haut und ihre schwarzen Haare, was bedeutete, daß sie von den Mutterleuten geraubt worden waren. Obwohl sie mager und unterernährt wirkten, konnte man sehen, daß sie vor ihrer Gefangennahme ein besseres Leben geführt hatten. Vielleicht waren sie Priesterinnen oder Tischlerinnen, Töpferinnen oder Fischerinnen gewesen; vielleicht hatten sie Kinder zur Welt gebracht oder die Felder bestellt oder Seite an Seite mit ihren Brüdern und Liebhabern Wild gejagt. Sie gaben sich nicht stolz oder rebellisch – keine Sklavin, die am Leben bleiben wollte, konnte sich den Luxus leisten, anders als unterwürfig auszusehen –, aber strahlten eine Unerschütterlichkeit aus, die man sonst bei keiner Nomadensklavin fand. Sie saßen noch immer auf der Göttin Erde, als gewännen sie Kraft aus ihr, und wenn sie sprachen, hatten ihre Stimmen den weichen, melodischen Klang des Südens.
Dies waren die Frauen, von denen das Gelingen ihres Unternehmens abhing, und als Marrah sie da müde um das kümmerliche Feuer hocken sah, betete sie zur Göttin, sie mitfühlend zu machen mit dem Schicksal der Sharaner. Wie als Antwort auf ihr Flehen loderten die Flammen plötzlich ein wenig auf, die Dolmetscherin trat aus einem der Zelte und setzte sich zu den anderen. Sie war größer, als sie vom Felsvorsprung aus gewirkt hatte, und die wohl erst jüngst erfolgten Tätowierungen auf ihrem Gesicht waren noch immer nicht verheilt.
»Wo bist du den ganzen Tag gewesen, Vrimyta?« erkundigte sich eine der Frauen.
Die Dolmetscherin lächelte bitter. Sie griff nach einem Stock und stocherte damit im Feuer, so daß knisternde Funken aufstoben. »Bei Changar. Ich mußte ihm wieder etwas vorlügen«, erklärte sie. »Nicht daß es irgend etwas nützt. Tritt in Dreck, und alles, was du am Ende davon hast, ist Dreck an deinen Sandalen.«
Mehr brauchte Marrah nicht zu hören. Sie blickte sich vorsichtig um, um sicherzugehen, daß keine Nomaden in der Nähe waren, dann trat sie aus der Dunkelheit, gefolgt von Hiknak und Dalish.
»Seid gegrüßt, Schwestern«, sagte sie. »Wir sind hier, um euch darzulegen, wie ihr eurem Sklavendasein entfliehen könnt.«
Die vier Frauen sprangen erschrocken auf und starrten die drei in einer Mischung aus Angst und Verwirrung an, die zum Lachen gereizt hätte, wären nicht Hunderte von bewaffneten Kriegern in Rufweite gewesen. Als Marrah begriff, daß die Sklavinnen sie irrtümlich für echte Hansi-Konkubinen hielten, riß sie sich das Tuch vom Kopf, und Hiknak und Dalish folgten ihrem Beispiel.
»Ich bin keine Nomadin«, erklärte sie. »Ich bin Marrah, Priester-Königin von Shara.« Derweilen rannte die Dolmetscherin, die sie wiedererkannt hatte, bereits mit ausgestreckten Armen auf sie zu. Die Frau umarmte Marrah stürmisch, lachte und weinte zugleich und klopfte Marrah dabei auf den Rücken, als wäre diese ihre ältere Schwester; doch sie war schon zu lange Sklavin, um irgendeinen Laut von sich zu geben, der die Wachen mißtrauisch gemacht hätte. Nachdem der erste Überschwang der Gefühle ein wenig abgeebbt war, wischte sie sich die Tränen aus den Augen und drehte sich zu den anderen um, die sie anstarrten, als hätte sie den Verstand verloren.
»Erinnert ihr euch an die Ballade ›Nikhan und die schwangeren Krieger‹?« fragte sie, und als ihre Gefährtinnen nickten, zeigte sie auf Marrah, Dalish und Hiknak. »Das hier sind die drei; dies sind die mutigen Frauen, die in jenes Shubhai-Fort geritten sind, um die Sklaven von Shambah zu befreien! «
Sobald die anderen Sklavinnen begriffen, daß Marrah und ihre Freundinnen aus dem Schlupfwinkel auf den Klippen gekommen waren, traten sie in Aktion. Sie nahmen die drei Ankömmlinge bei der Hand und zogen sie hastig in eines der Zelte. Nicht alle Sklavinnen im Lager sympathisierten mit der Sache der Sharaner, und eine Erklärung, warum ihnen drei gutgekleidete Hansi-Konkubinen mitten in der Nacht einen Besuch abstatteten, wäre extrem schwierig geworden.
Als sie alle im Zelt waren, sicherte eine der Frauen den Eingang und hüllte sie damit in vollkommene Dunkelheit. Von da ab sah Marrah keine Gesichter mehr, und wenn sie sprachen, waren ihre Stimmen so leise wie Sand, der auf Sand rieselt.
Von Anfang an bestand kein Zweifel
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