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Alteuropa-Trilogie 2 - Die Schmetterlingsgöttin

Titel: Alteuropa-Trilogie 2 - Die Schmetterlingsgöttin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
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wird es bestimmt nicht heute nacht geschehen«, sagte Jutima. »Nicht bei diesem Wetter.« Aber Marrah wagte es nicht, sich auf den Schutz des Unwetters zu verlassen. Wenn Vlahan und seine Krieger dahintergekommen waren, daß sie vergiftet werden sollten, würden sie wild auf Rache sinnen, und gab es eine günstigere Voraussetzung für einen Angriff als ein Sturm, währenddessen der Feind am wenigsten damit rechnete?
    »Richtet Fackeln her«, wies sie Jutima an. »Und laßt sie auf keinen Fall ausgehen.« Aber sie hätte Jutima ebensogut befehlen können, sich Kiemen wachsen zu lassen und Wasser zu atmen. Der Regen strömte wie eine gläserne Wand vom Himmel und ließ die Fackeln im selben Moment wieder verlöschen, in dem sie angezündet wurden.
     
    Die sharanischen Wachen waren so darauf konzentriert, den Grat zu beobachten, daß keiner von ihnen merkte, wie Hiknak leise aus ihrem Zelt schlüpfte und sich einen Weg durch das Lager bahnte. Sie war vom Kopf bis zu den Fesseln in einen Lederumhang mit Kapuze gehüllt, wie es bei dem strömenden Regen durchaus angebracht war, und der Beutel, den sie trug, hätte alles enthalten können. Sie hatte ihren Speer dabei, aber auch das erschien unter den gegenwärtigen Umständen nur vernünftig. Deshalb reagierten die Leute, denen sie unterwegs begegnete, nicht etwa mißtrauisch, sondern nickten ihr nur knapp zu und strebten alle an einen Ort, wo es wärmer und trockener war.
    Als Hiknak den Rand des Felsvorsprungs erreichte, schaute sie sich noch einmal nach allen Seiten um, um sicherzugehen, daß niemand sie beobachtete. Dann öffnete sie ihren Beutel, zog ein Leinenseil heraus, band es an einem Felsblock fest und warf das lose Ende über den Rand, so daß es bis zur Spalte auf den Pfad hinabfiel.
    Hastig entledigte sie sich ihres Umhangs, hängte sich ihren Speer über den Rücken mittels der Lederschnur, die sie in der Ungestörtheit ihres Zeltes an der Waffe befestigt hatte.
    In Sekundenschnelle war sie über den Rand geglitten und kletterte zu dem Pfad hinunter, wobei sie sich mit ihrer gesunden Hand am Seil festklammerte und mit den Füßen an der glatten Felswand abstützte. Hätte es nicht so heftig geregnet, hätten die sharanischen Wachen sie vielleicht entdeckt und sie mit Pfeilen durchlöchert in der fälschlichen Annahme, sie sei ein Nomadenkrieger. Sie trug dieselben schlammbraunen Beinlinge und die dunkle Tunika, die sie getragen hatte, als sie mit Marrah und Dalish ausgezogen war, um die Sklavinnen um Hilfe zu bitten; aber diesmal war sie nicht geschminkt, und sie trug auch kein Kopftuch, um ihr Gesicht zu verhüllen. Sie hatte nicht die Absicht, als Konkubine aufzutreten, und ein Tuch würde ihr nur im Wege sein, wenn sie ihren Dolch schwang.
     
    Hiknak wurde nicht vermißt. Die Sharaner verbrachten eine kalte, nasse Nacht, während sie in ihren Zelten kauerten, auf Gedeih und Verderb dem Wetter, ihren Feinden und ihren eigenen Ängsten ausgeliefert. Als der Morgen graute, versiegten endlich die Fluten, aber inzwischen war das Leinenseil längst verschwunden. Hiknak hatte es heruntergezogen, damit Marrah es nicht dort hängen sehen und ihr nachgehen würde – ihre Fußspuren waren längst vom Unwetter gelöscht.
    Beim ersten Tageslicht eilten die Sharaner zum Rand der Klippen, um ihre Blicke auf das Lager der Nomaden zu richten. Der Granit unter ihren Füßen war saubergewaschen, und die Luft roch nach Salz und zerdrückten Minzeblättern. Im Norden lag dichter Nebel über dem Tal, der von den durchweichten Feldern aufstieg und alles verhüllte.
    Oben auf dem Dach des Tempels der Kinderträume lachte Batal fröhlich und ließ die Sonne wie einen goldenen Drachen über dem Horizont aufsteigen. Allmählich löste sich der Nebel auf, und die Seemöwen schossen in den Himmel hinauf, um ihre Flügel zu trocknen. Kleine Wellen schwappten friedlich an den Strand des Süßwassersees, und der Fluß strömte klar und grün am Rande des Waldes dahin. In der gesamten Geschichte von Shara hatte es niemals einen so schönen, in rosige Dämmerung getauchten Morgen gegeben.
    Die Nomaden hatten ihr Heil in der Flucht gesucht! Hinter den Ruinen von Shara war weiter nichts zu sehen als ein großer Schlammplatz, wo sich am Tag zuvor ihr Lager befunden hatte. Einzelne Zelte standen noch da, halb umgekippt und in den Schlamm getreten, als wären sie niedergetrampelt worden; aber soweit die Sharaner es beurteilen konnten, hatte sich die gesamte riesige Truppe von Männern,

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