Alteuropa-Trilogie 2 - Die Schmetterlingsgöttin
fragte, warum im Namen aller Dämonen der Unterwelt ihn seine Wachen nicht gewarnt hatten, daß Vlahan im Anmarsch war. »Willkommen in meinem bescheidenen Zelt.«
Vlahan setzte sich auf eine der gepolsterten Satteltaschen, die die Zaxtusi als Kissen benutzten, und blickte Turthan müde an. Allmählich war er es überdrüssig, daß seine Unterhäuptlinge jedesmal kalkweiß im Gesicht wurden, sobald sie ihn erblickten.
»Erweist du mir die Ehre, Kersek mit mir zu trinken, Rahan?«
Vlahan erwiderte, daß ihm nichts mehr Vergnügen bereiten würde, aber es seien ernste Angelegenheiten zu erörtern; nachdem sie also beide den zeremoniellen Schluck aus dem Kersek-Schlauch getrunken hatten, wie es der Brauch verlangte, kam er ohne Umschweife auf den Grund seines Besuches zu sprechen. »Ich bin hier, um dir zu versichern, daß weder du noch ich noch sonst irgendeiner von uns unter einem Fluch steht«, begann Vlahan. »Changar hatte recht. Das Spektakel, das wir heute nachmittag miterlebt haben, war nichts als fauler Zauber.«
Aber du bist trotzdem weggerannt, du erbärmlicher Feigling, stimmt's? dachte Turthan; laut sagte er jedoch: »Ich habe sowieso niemals an diesen Fluch geglaubt, Rahan.«
Bei dieser Bemerkung hellte sich Vlahans Miene auf. »Nicht?«
»Nicht einen Augenblick.« Turthan sagte dies mit großer Überzeugung, weil es obendrein noch stimmte. »Aber was glaubst du, wie deine Hexe von Ehefrau diesen Donner fabriziert hat?« Er betonte das Wort »Ehefrau«, was einer so deutlichen Beleidigung gleichkam, wie er es nur Vlahan gegenüber riskieren konnte. Aber sollte Vlahan die Beleidigung auch herausgehört haben, so ließ er sich doch nichts anmerken; er zuckte nur die Achseln und nahm erneut einen Schluck aus dem Kersek-Schlauch.
»Ich habe nicht die leiseste Ahnung; aber es ist inzwischen unwichtig. Nachdem ich ins Lager zurückgekehrt war, kam ich wieder zur Vernunft, und mir wurde klar, daß wir auf eine Täuschung hereingefallen waren.« Er senkte die Stimme und beugte sich vertraulich zu Turthan vor. »Dies war ein schwarzer Tag für uns, Turthan. Unsere Ehre ist befleckt.«
Deine am allermeisten, dachte Turthan.
»Die Hälfte der Stämme habe ich bereits aufgesucht. Viele der Unterhäuptlinge sind nicht so mutig wie du, und viele unserer Krieger wollen vor lauter Angst nicht mehr kämpfen.« Als Turthan hörte, daß Vlahan durch das Lager marschiert war, um den anderen Unterhäuptlingen Mut zuzusprechen, empfand er einen widerstrebenden Respekt für ihn. Es erforderte schon echte Courage, seinen Männern gegenüberzutreten, wenn man selbst wie ein krankes Kaninchen geflüchtet war. Vlahan mußte sich bewußt sein, daß sein Leben an einem seidenen Faden hing, und dennoch hatte er sich aufgemacht und versucht, die Krieger zu beruhigen und sie erneut anzuspornen. Genau das war es, was von einem Großen Häuptling erwartet wurde – was auch der alte Zuhan in einer solchen Situation getan hätte. Zum ersten Mal, seit Turthan sich erinnern konnte, benahm sich Vlahan wie der Sohn seines Vaters.
»Einige der Unterhäuptlinge fürchteten sich offensichtlich, mich zu empfangen«, fuhr Vlahan fort. »Sie ließen mir ausrichten, sie fühlten sich nicht wohl.«
Jetzt, wo er darüber nachdachte, stellte Turthan fest, daß auch er sich nicht sonderlich gut fühlte. Er spürte ein seltsames Prickeln im Kopf, und aus seinem Magen stieg ein säuerlicher Geschmack auf. Er griff nach dem Kersek-Schlauch, trank einen Schluck und rülpste mit der Diskretion, die ein Unterhäuptling in Gegenwart des Mannes an den Tag legen sollte, der unbestreitbar Großer Häuptling war.
»Was ich wissen möchte«, sagte Vlahan, »ist folgendes: Seid ihr, du und deine Krieger, auf meiner Seite?«
»Bis zum Ende«, erwiderte Turthan, ohne sich die Mühe zu machen zu erwähnen, daß er Vlahans Ende meinte und nicht seines.
Vlahan lächelte ironisch. »Schön«, sagte er. Er erhob sich von seinem Platz und blickte Turthan lange Zeit an. »Dann werden die Zaxtusi morgen gemeinsam mit den Hansi kämpfen?«
»Sollen wir das sharanische Lager angreifen?«
»Angreifen und ausrotten.«
»Von den Gipfeln der Klippen aus?«
»Von den Gipfeln aus.«
»Du kannst auf unsere Teilnahme zählen.«
»Bist du sicher, daß du die Sache mit dem Fluch richtig verstanden hast?«
»Warum fragst du mich das zum zweiten Mal, Rahan? Ich habe dir doch gesagt, der Fluch bedeutet für mich Hexengeschnatter.« Turthan machte eine wegwerfende
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