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Alteuropa-Trilogie 2 - Die Schmetterlingsgöttin

Titel: Alteuropa-Trilogie 2 - Die Schmetterlingsgöttin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
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brach die Oberfläche mit einem scharfen Knacken unter ihnen auseinander, was Marrah an das Geräusch heißer Steine erinnerte, die in einem Feuer zerbarsten.
    Das Wetter war größtenteils heiter – aber wenn sich der Himmel einmal bewölkte, regnete es sogleich, und während der Regen fiel, schmolz der Schnee nach und nach und legte große Flächen weichen Sumpfs frei, der bei jedem Schritt einen seltsam schmatzenden Laut unter den Hufen der Pferde erzeugte. Gegen Ende des Tages waren sie derart mit Schlamm bespritzt, daß sie sich gegenseitig kaum noch wiedererkannten; trotz des Schmutzes waren sie jedoch froh über die Wende, die das Wetter genommen hatte.
    Nach der eisigen Strenge der Steppe erwies sich die Landschaft jetzt als freundlich und entgegenkommend. Die Eichen und Weiden überzog bereits ein fruchtbarer, rötlich-brauner Schimmer, und an ihren kahlen Ästen begannen dicke, saftstrotzende Knospen zu sprießen. Hoch am Himmel erschienen plötzlich große Scharen von Enten und Graugänsen, die nach Norden in ihre Brutgebiete flogen, und nachts quakten die Frösche in einem verrückten, liebeskranken Chor, der einen nur schwer einschlafen ließ.
    Die Vögel und Frösche hatten recht: Es war tatsächlich Frühling geworden. Als Marrah, Stavan und die anderen weiter südwärts ritten, entdeckten sie die ersten vertrauten Blumen: blaßgelbe Krokusse, Narzissen mit weißen Blütenblättern und gelegentliche Kissen blauer Hyazinthen, die so süß dufteten, daß es Marrah beinahe schwindelig wurde, als sie aus dem Sattel stieg und sich schnuppernd über sie beugte. Als sie nun durch den ersten Wald ritten, hatte sie das Gefühl, aus einem bösen Traum zu erwachen. Sollten die Nomaden doch ihr karges, baumloses Ödland behalten; hier war alles lieblich und vertraut.
    Die anderen teilten ihre Liebe zum Süden. Dalish, die die Blumen der Mutterländer seit ihrer Kindheit nicht mehr gesehen hatte, jauchzte vor Freude beim Anblick der Farbenpracht, und wenn sie eine Rast einlegten, schlenderte sie oft umher, um die schönsten Blütenkelche zu pflücken. Dann setzte sie sich hin und sortierte sie, um lange Ketten daraus zu winden, die sie um den Hals der Pferde legte, während sie Lobeshymnen an die Göttin sang, die sie aus der Gefangenschaft errettet hatte.
    »Wir sehen immer aus, als hätten wir uns für irgendein Fest geschmückt«, scherzte Marrah eines Nachmittags, als Dalish ihr einen Kranz aus weißen Krokussen aufs Haar setzte. Die Freundin lächelte nur, doch später an jenem Abend, als sie alle um das Lagerfeuer saßen, erzählte sie ausführlich von dem Dorf, in dem sie geboren war, beschrieb ihre Mutter und die anderen Verwandten, die wunderschönen Tongefäße, die ihr Aita zu töpfern pflegte, und sogar den Hund, den sie zu ihrem sechsten Geburtstag geschenkt bekommen hatte. Hiknak und Arang lauschten hingerissen ihren Geschichten, aber Stavan war besorgt.
    »Dalish klingt, als glaubte sie, sie würde in ihre Heimat zurückkehren«, sagte er am nächsten Morgen zu Marrah. »Aber wer weiß denn überhaupt, wo ihr Dorf liegt?« Er wies auf den Wald. »Die Handelsrouten enden alle in Shambah, und das liegt noch eine ganze Strecke weiter südlich. Hier oben im Norden gibt es keine echten Wege, und wenn wir uns auf die Suche nach ihrem Dorf begeben, könnte es sein, daß wir monatelang umherwandern, ohne es jemals zu finden.«
    Marrah warf einen Blick zurück auf Dalish, die neben Hiknak ritt. Die beiden lachten fröhlich, als ob sie keinerlei Sorgen hätten, aber Marrah wußte es besser. »Dalish rechnet nicht damit, ihr Zuhause jemals wiederzusehen. Sie hat mir vor langer Zeit einmal erzählt, daß die Hansi ihre Mutter und die meisten ihrer Verwandten ermordeten und das Dorf bis auf die Grundmauern niederbrannten. Sie träumt nur von ihrer Kindheit, aber in ihrem Herzen weiß sie, daß es ihr Daheim nicht mehr gibt.«
    »Ich verstehe«, nickte Stavan. »Dann soll sie träumen. Es schadet nichts, schöne Erinnerungen zu besitzen.« Etwas in seiner Stimme ließ Marrah aufblicken. Er runzelte die Stirn, und seine Augen hatten sich zu Schlitzen verengt. Sie kannte diesen Ausdruck: Er bedeutete, daß Stavan etwas vor ihr verbarg – etwas, von dem er glaubte, es für sich behalten zu müssen.
    »Was ist los? « verlangte sie zu wissen.
    Er lächelte, aber sein Lächeln hatte nichts Beruhigendes an sich. »Es ist wahrscheinlich nichts, weswegen du dir Sorgen machen müßtest; aber vor ein paar Tagen habe ich

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