Alteuropa-Trilogie 2 - Die Schmetterlingsgöttin
anderen abzusondern, um sich unter dem freien Himmel zu lieben. Danach kuschelte sie ihren Kopf an seine Schulter und zeigte zu den Sternbildern hinauf, erzählte ihm die Geschichten ihres Volkes; da fielen auch ihm Geschichten seiner Heimat über dieselben Sterne ein, und sie waren zutiefst erstaunt, wie zwei Menschen zu demselben Himmel hinaufschauen und so unterschiedliche Dinge sehen konnten.
Am meisten wunderte er sich über Hiknaks Mitteilung, daß die Nomaden sie häßlich gefunden hatten, weil sie dünn und schmalhüftig war, mit kleinen Brüsten, aschblondem Haar und einem spitzen Kinn. Arang liebte ihre Brüste und ihr Haar und ihre Hüften und ihr Kinn, weil es die Hiknaks waren. Er hätte jeden Körper geliebt, in dem sie zu ihm gekommen wäre: einen dicken Körper mit wundervollen breiten Hüften und großen Brüsten; einen schlanken, pferdeähnlichen Körper; selbst einen fellbedeckten Ziegenkörper. Er versuchte ihr klarzumachen, daß bei den Leuten seines Volkes alle weiblichen Figuren als schön galten, aber er konnte sie nicht überzeugen.
»Die Nomaden sind Dummköpfe«, murmelte er und drückte sie leidenschaftlich an sich, aber Hiknak glaubte hartnäckig an ihre Häßlichkeit.
Oft legte Arang trotz der Kälte seine Tunika ab und tanzte mit nacktem Oberkörper für sie im Mondschein, bewegte sich so geschmeidig und elegant wie ein Falter. Dann drehte er sich und vollführte wilde Sprünge; manchmal nahm er den schmalen Gürtel aus reiner Wolle, den Hiknak um die Taille trug, und tanzte damit, so daß er wie eine Rauchfahne um ihn herumwirbelte. Dazu klatschte seine kleine Nomadenfrau begeistert in die Hände und lachte wie das unbeschwerte Kind, das sie niemals gewesen war.
Während des Tages ritten sie dicht nebeneinander, so daß sie miteinander flüstern und Händchen halten konnten. Arang wußte, die anderen wurden allmählich ärgerlich, weil er und Hiknak sich immer absonderten, aber Marrah hatte sich für ihn eingesetzt. Marrah war wirklich die beste aller Schwestern. Sie hatte Stavan und Dalish erklärt, daß es immer eine Zeit wie diese gab, wenn die Göttin zwei Menschen Verlangen schickte.
»Eine Zeit der Verrücktheit«, hatte Marrah gesagt und herzlich gelacht. Arang war ein wenig gekränkt gewesen, weil er sich in seinem ganzen Leben noch nie vollkommener gefühlt hatte als jetzt; aber zumindest zeigte sie Verständnis, vielleicht weil es ihr genauso ergangen war, als sie sich damals in Stavan verliebt hatte.
»In sechs Wochen werden sie anfangen, sich gegenseitig zu langweilen«, hatte sie vorausgesagt, aber Arang wußte, daß er und Hiknak sich niemals miteinander langweilen würden, solange sie lebten. »Laßt sie doch ihren Spaß haben«, beschwichtigte Marrah. »Sie haben beide soviel Schmerz erdulden müssen. Gönnt ihnen doch ein wenig Freude! «
Dank Marrahs Fürsprache hatten Stavan und Dalish schließlich aufgehört zu grollen, was auch angebracht war, wie Arang fand. Schließlich trugen er und Hiknak durchaus ihren Teil bei. Sie versorgten die Pferde und kochten und jagten genau wie alle anderen; aber während des Tages ritten sie weiterhin Hand in Hand seitab.
Um sie herum begann das Land allmählich sich zu erheben, und aus der Erde stiegen sanfte Hügelwellen; aber er und Hiknak waren bei weitem nicht so aufgeregt wie die anderen. Zweifellos würde das Leben sicherer sein, sobald sie die Steppe endlich hinter sich gelassen hatten, und sie waren beide froh darüber – aber Zuhause war für sie überall dort, wo sie nachts ihre Decken ausrollten. Selbst als sie die ersten bescheidenen Büsche und Bäume entdeckten, benahmen sie sich nicht halb so närrisch wie Marrah und Dalish, die vor Freude jubelten und sogar von ihren Pferden sprangen, um die Bäume zu umarmen, als wären sie lange verlorene Verwandte.
Er und Hiknak waren zwar jünger, aber sie bewahrten ihre Würde, fand Arang. Sie brachten ihre Liebe in die Mutterländer, aber hätten sie überall hintragen können und wären nicht minder glücklich gewesen.
3. KAPITEL
Als sie nach Süden ritten, begleitete der Frühling sie, und er gewann mit jedem Tag mehr an Kraft. Die zugefrorenen Flüsse des Nordens waren leicht zu überqueren gewesen, aber wenn Marrah und ihre Gefährten jetzt an einen Strom kamen, mußten sie sich vorsichtig bewegen und ihre Pferde Schritt für Schritt den Untergrund ertasten lassen. In der südlichen Sonne taute das Eis, und manchmal bildeten sich ganz plötzlich Risse; dann
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