Alteuropa-Trilogie 2 - Die Schmetterlingsgöttin
Volkes mit mir Liebe gemacht hätten, wenn ich nicht schon als Kind geraubt worden wäre. Irehan hätte mich getötet, wenn er gewußt hätte, wie sehr ich jenen alten Mann genossen habe.«
»Langsam, wie?« Hiknak griff nach ihrem Dolch und machte sich wieder daran, Eicheln mit dem Griff zu zertrümmern. »Glaubst du, Arang würde es auch langsam machen?«
Dalish grinste. »Wer weiß? Aber es gibt eine sichere Methode, um das herauszufinden.«
Ungefähr zwei Monate nach dieser Unterhaltung verkündete Stavan, daß der Frühling nicht nur nahte, sondern bereits da war. Hiknak und Dalish, die fast ebenso lang in der Steppe gelebt hatten wie er, stimmten ihm zu, aber Marrah und Arang verhielten sich skeptisch. Soweit sie es beurteilen konnten, war immer noch Winter. Sicher, die Tage wurden wieder ein wenig länger, sie brauchten morgens vor den Eingängen zu ihren Höhlen nicht mehr soviel Schnee wegzuschaufeln, und der Wind schien nicht mehr ganz so eisig, aber nichts schmolz oder blühte; und wenn sie sich auf den Schneeschuhen, die Stavan für sie aus Hirschdärmen und geflochtenen Weidenzweigen gefertigt hatte, mühsam über den Rand der Schlucht hinaufkämpften, konnten sie alle sehen, daß sich noch dieselbe Schneedecke von Horizont zu Horizont erstreckte.
»Die kleinen Singvögel sind dabei, ihre Frühlingsfedern anzulegen, die Störche kehren zurück, und die Säfte steigen«, erklärte Stavan beharrlich. Er zog seinen Dolch aus dem Gürtel, ritzte den Stamm der nächsten Weide, und tatsächlich quoll frühlingshaftes Harz aus der Schnittstelle. Marrah und Arang wären zwar noch überzeugter gewesen, wenn sie irgendwo einen grünen Grashalm gesehen hätten; aber Stavan wußte gewöhnlich, wovon er redete, deshalb stimmten sie zu, als er sagte, sie sollten mit den Reisevorbereitungen beginnen.
Mehrere Tage lang arbeiteten alle fieberhaft, räucherten frisches Wildfleisch und verbuken den letzten Rest des Eichelmehls zu kleinen Fladen, die als Proviant dienen würden. Gegen Ende der Woche hatten sie ihre Satteltaschen gepackt und sämtliche Löcher in den Decken gestopft; man war bereit!
An dem Morgen ihres Aufbruchs kniete Marrah einen Moment neben dem Bach nieder, während Hiknak, Dalish und Stavan warteten. Sie hob einen Stock auf und kratzte den Schnee weg. Die Erde darunter war so schwarz wie der Nachthimmel, mit Kieselsteinchen übersät und kleinen weißen Schneckenhäusern – ein gutes Zeichen, da die Schnecke das heilige Tier der Geister war, die über der Geburt eines Kindes wachten.
Marrah schabte mit ihrem Stock ein Stückchen der gefrorenen Erde vom Boden und legte es sich auf die Zunge. »Segne und behüte mein ungeborenes Kind, süße Mutter«, sagte sie schlicht.
Plötzlich kniete Hiknak neben ihr, nahm ebenfalls Erde in den Mund und sprach das gleiche Gebet.
Marrah schnappte überrascht nach Luft, und Stavan hob verdutzt die Brauen, aber Dalish lachte nur.
Hiknak stimmte in ihr Lachen ein und zeigte auf Arang, dessen Gesicht plötzlich blutrot geworden war.
»Er ist dafür verantwortlich«, sagte Hiknak. Sie wandte sich ab, nahm Marrahs Hände in ihre, und beide schluckten die Erde, Mutter aller Dinge, wie es schon Generationen von schwangeren Frauen vor ihnen getan hatten.
»Ich wußte ja nicht mal, daß sie miteinander schlafen«, beschwerte sich Marrah später am Nachmittag bei Dalish. »Wie konnten sie das an einem so engen Ort geheimhalten, und warum bewahrten sie überhaupt Stillschweigen darüber?«
Dalish seufzte. »Ich mußte Hiknak schwören, dir nichts davon zu sagen, und wahrscheinlich hat sie Arang zu einem ähnlichen Versprechen gezwungen. Anscheinend fürchtete sie Stavans Zorn, weil Arang sie nicht geheiratet und einen angemessenen Brautpreis bezahlt hat, wie es sich gehört.«
Marrah blickte Dalish verständnislos an. »Wovon, im Namen der Göttin, redest du eigentlich?«
»Stavan ist Vlahans Halbbruder, und Hiknak war Vlahans Konkubine. So wie Hiknak die Sache sieht, macht das Stavan zu ihrem neuen Herrn und berechtigt ihn, Han weiß wie viele Stück Vieh als Brautpreis zu verlangen, bevor sie sich mit irgend jemandem in die Schlaffelle legt.«
»Aber Hiknak weiß doch hoffentlich, daß Stavan niemals auf solch eine Idee verfiele. Ich bin überzeugt, der Gedanke, sie als sein Eigentum zu betrachten, ist ihm niemals in den Sinn gekommen. Und daß er wütend darüber werden sollte, weil sie Arangs Lager teilt, ist das Lächerlichste, was ich je gehört
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