Alteuropa-Trilogie 2 - Die Schmetterlingsgöttin
– dann würde ich unerbittlich Jagd auf dich machen, dir die Eier abschneiden und sie draußen vor meinem Zelt aufhängen, wo jeder sie sehen könnte. Und ...« Vlahan begann mit großem Genuß die Strafen für Verräter aufzuzählen.
Changar wartete geduldig, bis er am Ende dieser Greuel angelangt war. Danach herrschte eine Weile Stille. Das Feuer brannte herunter, und die beiden Männer saßen einander schweigend gegenüber. Als Changar erneut das Wort ergriff, klang seine Stimme sanft und gedämpft.
»Ein Mann ist heute gekommen, Rahan, ein Krieger aus dem Westen. Ein Shubhai.«
Vlahan spuckte ins Feuer und beobachtete, wie der Speichel auf den heißen Steinen zischte. »Ich habe Gerüchte gehört, daß Nikhan ebenfalls rebelliert, aber niemand hat sich die Mühe gemacht, zu den Shubhai-Lagern zu reiten, um zu sehen, ob sie wahr sind.« Changar erhielt seine widerwillige Anerkennung: »Aber ich verstehe, worauf du hinaus willst. Wenn dieser Mann aus dem Westen ist, dann weiß er vielleicht etwas über die Flüchtigen.« Er wedelte gönnerhaft mit der Hand. »Du hast meine Erlaubnis, den Hund zu foltern, um einen Fingerzeig aus ihm herauszubekommen.«
»Es besteht kein Grund, ihn zu foltern, Rahan. Er ist nicht nur bereit zu reden, sondern auch aus eigenem freien Willen in unser Lager gekommen, um uns eine Nachricht zu bringen. Du erinnerst dich, daß ich sagte, ich hätte noch mehr Kenntnisse?«
»Ich erinnere mich, ja. Also, wenn es Neuigkeiten sind, dann heraus damit! Und sie sollten besser gut sein, sonst kannst du versuchen, eine Woche lang ohne Wasser zu leben. Das ist ein faires Tauschgeschäft heutzutage: gute Nachrichten gegen Wasser. Sonst mußt du eben Staub trinken.«
»Ich denke, der Mann sollte lieber selber aussagen, Rahan.«
Vlahan nickte, Changar drehte sich zur Seite und klatschte in die Hände, worauf ein bewaffneter Wachtposten erschien. Der Bart des Mannes war mit Fett bekleckert, was darauf hinwies, daß er mitten in seinem Abendessen unterbrochen worden war.
»Bring mir diesen Shubhai, den du irgendwo gefesselt hast«, knurrte Vlahan. »Und wisch dir dein fettiges Kinn ab, wenn du dich bei mir blicken läßt.«
Der Wachtposten verbeugte sich und eilte aus dem Zelt, während er seinen Bart befühlte. Wenige Augenblicke später kehrten er und eine andere Wache zurück und zerrten einen stämmigen, schwer mitgenommenen Krieger hinter sich her. Der Mann war wahrscheinlich Mitte zwanzig; sein verfilztes Haar, seine gebrochene Nase und die eingeschlagenen Zähne ließen ihn jedoch älter aussehen. Eine flammendrote Narbe zog sich von seinem linken Augenwinkel bis zu seinem Mund hinunter, und auf seiner Stirn war ein Habicht mit gespreizten Krallen eintätowiert. Wie alle Shubhai-Tätowierungen saß auch diese schief und krumm, aber sie machte sein Gesicht unvergeßlich. Wenn Marrah anwesend gewesen wäre, hätte sie in ihm den Krieger erkannt, der vor Stavans Pferd niederkniete, als sie in das Fort in Shambah geritten waren.
Die Wachen stießen den Mann grob auf den Boden. Seine Arme waren hinter seinem Rücken gefesselt, was nur als Vorsichtsmaßnahme diente. Er war ein Gast, kein Gefangener – im Moment zumindest noch nicht – und starrte Vlahan mit offenem Mund an. Vlahan trug nur zwei oder drei goldene Halsketten, einen schmalen goldenen Reif um den Kopf, fünf oder sechs Ringe in jedem Ohr und ein bißchen Gold auf seiner Tunika; aber in den Augen des Shubhai wirkte er wohl wie ein Gott.
»Berichte dem Großen Häuptling, was du mir mitgeteilt hast«, befahl Changar.
Der Shubhai schluckte mehrere Male, bevor er sprechen konnte. »Vor vier Jahren«, begann er stockend, »ritt ein Mann in unser Lager, der behauptete, Stavan, Sohn von Zuhan, zu sein. In seiner Begleitung befanden sich ein Junge und drei Frauen. Er sagte, er wäre der Große Häuptling der Hansi, und zwang unseren Häuptling, Nikhan, ihm Treue und Gehorsam zu schwören; aber ich wußte vom ersten Moment an, daß der Fremde kein Häuptling war. Er trug Lumpen, und sein Pferd war ein Klappergaul.«
Der Krieger beschrieb alle Geschehnisse von Shambah, ein-schließlich der Zerstörung des Forts, wobei Vlahan und Changar ihn nicht unterbrachen. Der Mann hatte einen breiten westlichen Akzent, und ihm fehlten mehrere Zähne, deshalb war es manchmal schwierig, ihn zu verstehen – besonders als er anfing, wütend gegen Nikhan zu wettern, der ihn wohl beleidigt zu haben schien bei einem Streit um eine weiße Stute –;
Weitere Kostenlose Bücher