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Alteuropa-Trilogie 2 - Die Schmetterlingsgöttin

Titel: Alteuropa-Trilogie 2 - Die Schmetterlingsgöttin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Mackey
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später, als der Wind durch das hohe Federgras der Steppe peitschte und die Sterne mit seinen Staubwolken verschleierte, saß Vlahan eines Abends im weißen Zelt des Großen Häuptlings, damit beschäftigt, geröstete Körner zu essen und die Schalen ins Feuer zu spucken. Das mit roten und gelben Sonnensymbolen geschmückte Zelt war dasselbe, das der alte Zuhan so viele Jahre hang bewohnt hatte, und zwar an den Ufern seines Lieblingsflusses errichtet; aber seit Zuhans Tod versiegte der Fluß mehr und mehr.
    Mittlerweile bot er den Anblick eines Rinnsals, und wenn Vlahan kurzfristig zu kauen aufhörte, konnte er draußen den Wind über die Steine fegen hören. Jedesmal, wenn die Zeltklappe aufschlug, wirbelten vor seinen Blicken riesige Staubwolken auf, und Abfälle und Stücke verdorrter Grashalme flogen in alle Richtungen; er zerrte auch an den Schals der Frauen und erschreckte die Pferde. Es war ein böser Wind: ein Wind, der fast vier Jahre der Dürre und Rebellion gebracht hatte, und Vlahan haßte ihn aus dem tiefsten Grund seiner Seele.
    Während Vlahan aß, betrachtete er Changar, der ihm gegenübersaß, die Füße auf ein Kissen gebettet, Kersek trank und unter halb geschlossenen Lidern hervor ins Feuer starrte. Es waren nicht die Augen eines alten Mannes, der in der Wärme döste, obwohl Changars Haar mittlerweile die Farbe saftloser Winterhalme angenommen hatte und die Haut seines Gesichts fleckig und verdorrt aussah. Es waren grüne, wachsame Wolfsaugen; aber da lag noch etwas anderes in Changars Ausdruck, das vor drei Jahren noch nicht dagewesen war, etwas Brennendes.
    Man brauchte Changar nur anzusehen, um zu argwöhnen, daß er ein Geheimnis barg; doch traf das zu, so hatte er jedenfalls weder Vlahan noch sonst irgend jemandem davon erzählt; der Häuptling bohrte immer wieder nach und hatte ein- oder zweimal sogar gedroht, es aus ihm herauszuprügeln, wenn er nicht endlich mit der Sprache herausrückte. Vlahan mochte Geheimnisse nicht, außer es handelte sich um seine eigenen. Gewöhnlich bedeuteten sie nichts anderes als Verrat und ein Messer im Rücken.
    Vlahan griff in den kleinen Korb neben sich und nahm eine weitere Handvoll Körner heraus. »Fünf Stämme haben jetzt schon rebelliert, und fünf weitere drohen damit«, bemerkte er. Er wählte seine Worte sorgfältig, musterte dabei Changars Gesicht, um zu sehen, ob seine Feststellung den anderen in irgendeiner Weise erfreute; aber Changars Miene blieb so unergründlich wie immer.
    »Pah«, grunzte der Schamane. Die Aufstände waren nichts Neues und bedurften keiner weiteren Kommentare. Wahrscheinlich riß Vlahan nur wieder mal sein Maul auf, um sich reden zu hören. Normalerweise machte es Changar ungeduldig, aber an diesem Abend war er bereit, den anderen zu ertragen.
    Vlahan runzelte unwillig die Stirn. »Hörst du mir überhaupt zu?«
    »Ich höre dir immer zu, Rahan.«
    »Nun, dann hör mir gefälligst mit ein bißchen mehr Anteilnahme zu! Du solltest eigentlich mein Wahrsager sein. Deine Aufgabe besteht darin, mich zu beraten und nicht stumm wie ein Haufen getrockneter Pferdeäpfel dazusitzen. Wie ich gestern schon sagte: Ich muß Stavan töten und Arang entführen, bevor diese Aufstände völlig außer Kontrolle geraten. Dank dieser verfluchten Dürre schlachten sich die Unterhäuptlinge gegenseitig ab im Streit um Wasserlöcher, die nicht einmal genug Wasser enthalten, um eine Ziege zu tränken. Jemand muß diesen dämlichen Bastarden endlich ein Licht aufstecken, daß ihre Rebellion einen Preis hat. Sonst werde ich am Ende Großer Häuptling von nichts als faulenden Knochen und vergammeltem Pferdefleisch sein!«
    Changar machte einen halbherzigen Versuch, die Male zu zählen, die er Vlahan genau dieselbe Rede hatte halten hören seit dem Tag von Marrahs und der anderen Flucht; aber es waren nicht genug Finger an der Hand eines Mannes und auch nicht genug Sterne am Himmel, um dies nachzuzählen.
    Vlahan steigerte sich mehr und mehr in seine Tirade hinein. Sein rotes, fleischiges Gesicht wurde noch eine Idee röter, und er breitete seine Arme aus, als wäre er dabei, einen listenreichen neuen Plan zu entwickeln statt des einen, den er schon Dutzende von Malen wiederholt hatte. »Wenn ich Arang wieder in den Fingern habe, werden die Unterhäuptlinge ihm gehorchen, weil Zuhan ihn adoptiert hatte – obwohl der kleine schwarzhaarige Sohn einer Hündin ebensowenig Zuhans wahrer Nachkomme ist wie du.« Vlahan spuckte ein paar Schalen in seine

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