Alteuropa-Trilogie 2 - Die Schmetterlingsgöttin
glaube, wir werden bald zu ihrer Raststelle gelangen.«
Dalish und Marrah erwiderten nichts. Sie waren nun schon seit fast zwei Tagen unterwegs, und erst jetzt würden sie die Stelle erreichen, wo die Nomaden die erste Nacht nach dem Überfall verbracht hatten. Inzwischen waren sie so weit zurückgefallen, daß es vielleicht keinen Unterschied mehr machte, ab sich die Nomaden im Schilf des Flußdeltas verirrten oder nicht. Wir sind wie Schlangen, die ein Rudel Wölfe verfolgen, dachte Marrah bedrückt. Sie blickte hinunter auf ihre schmutzstarrenden Sandalen und erinnerte sich, wie schnell Eoru, ihre braune Stute, sie damals nach Shara gebracht hatte.
Eoru war das Hansi-Wort für »violette Lilie«, aber die kleine Stute hatte nichts Zartes oder Lilienähnliches an sich gehabt. Sie war so stabil wie ein Boot gewesen und fast so schnell. Marrah hätte alles dafür gegeben, wenn sie jetzt auf Eorus breitem Rücken vorwärts reiten könnte, aber leider hatten die Nomaden sie zusammen mit den anderen Pferden mitgenommen.
Zumindest war es wieder leicht, die Fährte erneut aufzunehmen.
Die Krieger verhielten sich auch weiterhin nachlässig, machten nicht den geringsten Versuch, ihre Spuren zu verwischen. Während Marrah dahintrottete, fragte sie sich, ob sie wohl an jenem ersten Abend um ihre Lagerfeuer gesessen und höhnisch gelacht hatten bei dem Gedanken an ihren Zorn und ihr Leid. Sie versuchte, nicht daran zu denken, wie verängstigt Keru gewesen sein mußte, als die Dunkelheit hereinbrach. Vielleicht hatte Arang ihn getröstet. Sie hoffte es inständig. Keru hatte Arang immer geliebt. Sie fragte sich gerade, ob die Nomaden wohl Arang und Keru Seite an Seite schlafen lassen würden, als Stavan, der ein Stück vor ihr ging, so abrupt stehenblieb, daß sie beinahe gegen ihn geprallt wäre.
»Was ist los?« fragte sie. Er gab keine Antwort, sondern zeigte nur nach vorn. Sie folgte der Richtung seines Fingers und sah, daß sich wenige Schritte vor ihnen eine ziemlich große Lichtung ausbreitete – die dann entstand, wenn ein hoher Baum umstürzte und mehrere kleinere Bäume mit sich riß. Die Stämme lagen auf dem Boden, von Flechten und Moos überwuchert.
Zwischen ihnen, zum Teil im Unterholz verborgen, lagen ein Dutzend oder mehr seltsam geformte Klumpen. Zuerst dachte Marrah, es wären Felsblöcke. Sie waren rund und glatt, hauptsächlich braun oder sandfarben, aber hier und dort ragten schwarze oder weiße Erhebungen wie geschmeidige, überdimensionale Pilze aus dem Gestrüpp auf. Dann sah sie einen Huf und ein Stück Mähne, und plötzlich begriff sie.
»Die Pferde! « keuchte sie erschrocken.
Dalish, die sie eingeholt hatte, stieß einen leisen Schrei des Entsetzens aus.
Sie betraten die Lichtung und sahen überall tote Pferde liegen. Die vermeintlichen Felsblöcke waren ihre Leiber, doch als Marrah jetzt das Gestrüpp beiseite schob, sah sie auch ihre Hälse und Beine und ihre großen dunklen Augen, vom trüben Schleier des Todes überzogen. Alle fünfzehn der gestohlenen Tiere lagen dort. Die Nomaden hatten ihnen zuerst die Beine gefesselt und sie dann getötet, indem sie ihnen die Kehle aufschlitzten. Die armen Tiere lagen auf dem Boden, die Vorderhufe noch immer gefesselt, wo der ekelerregend süßliche Geruch verwesenden Pferdefleisches von ihren Körpern aufstieg und die Luft verpestete.
Marrah überkam ein plötzlicher Brechreiz, und sie wandte sich hastig von dem grauenerregenden Anblick ab. Ihre Augen füllten sich mit Tränen, und sie hatte das Gefühl, sich gleich übergeben zu müssen. Kraftlos lehnte sie ihre Stirn gegen einen Baum und wartete darauf, daß die Übelkeit vorüberging. Nach einer Weile schien der Geruch nicht mehr ganz so schlimm. Sie kehrte zu der Lichtung zurück und begann, sich langsam von Pferd zu Pferd zu schleppen.
Jedes einzelne war ein alter Freund. Hier lag Eoru; dort drüben der graue Wallach, den sie damals aus Mukhans Lager gestohlen hatten – der Grauschimmel, den Hiknak so liebgewonnen hatte. Die Hengste waren auf gegenüberliegenden Seiten der Lichtung getötet worden, wahrscheinlich, weil sie so schwierig zu handhaben gewesen waren, wenn sie einander zu nahe kamen. Die Nomaden hatten nicht einmal die Fohlen verschont.
Marrah kniete sich neben Eoru und streichelte ihre kurze Mähne. Sie fühlte sich rauh und schmerzlich vertraut unter ihrer Hand an, doch die Lebenswärme war bereits entwichen. Stavan kam und blieb schweigend neben ihr stehen. Sie blickte zu
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