Alteuropa-Trilogie 3 - Das Lied der Erde
hat Changar dir eigentlich angetan? Hat er mit diesem verfluchten schwarzen Gebräu deine gesamte Vergangenheit ausgelöscht? Oder hat das Fieber bereits dein Gehirn aufgeweicht? Weißt du nicht mehr, wie wir in Shara leben und woran wir glauben? Nichts ist ›unverzeihlich‹. Batal liebt alle ihre Kinder; und
ganz gleich, was sie getan haben, Sie liebt sie auch weiterhin. Sie wird dich segnen, genauso wie Mutter und Stavan und Driknak und alle anderen dich segnen werden.«
»Aber meine Männer«, widersprach er störrisch. »Was ist mit ihnen? Welchen Empfang würde man einem Verband von bewaffneten Nomadenkriegern an den Toren von Shara bereiten?«
Luma hatte so angestrengt über Keru nachgedacht, daß sie keinen Gedanken an seine Männer verschwendet hatte; aber natürlich würden ein paar von ihnen mitkommen müssen, um Keru zu schützen und seine Tragbahre zu tragen, denn in seinem Zustand konnte er unmöglich reiten.
»Ehrlich gesagt, das weiß ich nicht«, erwiderte sie. »Wenn deine Krieger in friedlicher Absicht kommen, wird man sie wahrscheinlich willkommen heißen, obwohl ich mir vorstellen könnte, daß Kandar darauf besteht, daß sie außerhalb der Stadtmauern kampieren. Aber eines kann ich dir mit Sicherheit sagen: Wenn du dich weigerst, nach Shara zu gehen, wirst du wahrscheinlich sterben! « Ihre Stimme bebte. Sie erhob sich von ihrem Platz. »So, ich hab's dir gesagt. Habe ich mich schonungslos genug ausgedrückt?«
Er hielt sie am Handgelenk fest. »Es tut mir leid.«
»Es braucht dir nicht leid zu tun. Reue ist reine ZeitZeitverschwendung. einfach deine Männer zusammen, bevor du zu krank bist, um mit ihnen zu reden, und sag ihnen, daß du abreist.« Sie wies auf die dunklen Schatten in der Ecke des Zeltes. »Du machst dir Sorgen, ob du in Shara willkommen bist, obwohl du dir besser Sorgen um dein Leben machen solltest. Dein Tod lauert gleich dort drüben und wartet nur darauf, daß die Sonne aufgeht. Es ist ein ganz schrecklicher Tod, Keru. Er hat scharfe Zähne, und er frißt dich sehr langsam.«
Sie sah seinen Tod natürlich nicht wirklich. Sie war nur zutiefst beunruhigt und von Angst um ihren Bruder erfüllt; aber das Bild des Todes, der wie ein Schreckgespenst in den Schatten lauerte, vermochte Keru nachhaltiger zu überzeugen, als alles andere, was sie gesagt hatte. Er konnte es einfach nicht aus seinem Bewußtsein verdrängen. Nachdem Luma gegangen war, lehnte er sich gegen einen Stapel Kissen, saß nachdenklich da und beobachtete, wie das Feuer langsam herunterbrannte. Kurz nach Mitternacht rief er Hrandshan in sein Zelt und verkündete, er habe beschlossen, nach Shara zu gehen. Luma, Keshna, Urmnak, Chamnak und sechs seiner Krieger – darunter auch Hrandshan – sollten ihn begleiten.
Hrandshan, der Gerüchte gehört hatte, daß Keru im Sterben lag, war überrascht, ihn so wohlauf zu sehen, und noch überraschter, als Keru ihm mitteilte, er wolle nach Shara reisen. Aber Häuptlinge erteilten immer überraschende Befehle, und es war die Pflicht eines Kriegers, sie zu befolgen, ohne Fragen zu stellen.
Die ganze Nacht hindurch beluden die Nomadenfrauen die Packpferde, während die Männer eine Tragbahre bauten. Im Morgengrauen, als die Luft noch kühl war, verließen Keru und sein Begleittrupp Mahclah. Die Nomaden, die zurückblieben, verabschiedeten ihn mit dem üblichen Trommelgedröhne und Flötengetriller, aber es war ein trauriger Abschied.
Hrandshan durchquerte die Furt als erster. Er ritt einen jungen, graubraunen Wallach, der als Packpferd abgerichtet worden war. Hrandshan hielt Keru in seinen Armen, und als sie in den Fluß ritten, warfen die Nomadenfrauen ihnen Blumen nach.
»Lebwohl, Rahan! « riefen sie.
»Möge Han dich beschützen.«
»Komm zu uns zurück.«
Die Fluten des Rauchflusses wirbelten um den schwimmenden Wallach herum, aber Hrandshan trug Keru sicher hinüber. Alle anderen durchquerten den Fluß entweder schimmend oder indem sie sich an die Schweife ihrer Pferde klammerten. Da Keru Hrandshan angewiesen hatte, ein Dutzend zusätzlicher Pferde zum Wechseln mitzunehmen, bildeten sie, als sie schließlich auf dem Hauptweg Richtung Süden ritten, eine stattliche Kolonne.
Luma blickte über ihre Schulter hinweg auf die lange Schlange von Männern und Pferden zurück, die sich langsam einen Weg durch den Wald bahnte, und dachte, wie seltsam dieser Anblick doch war. Sie hätte niemals gedacht, daß sie einmal einen Verband bewaffneter Nomadenkrieger nach
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