Alteuropa-Trilogie 3 - Das Lied der Erde
für einen ordentlichen Fluch.
Luma rannte an dem Mann vorbei und zur Tür hinaus.
»Na dann viel Vergnügen«, rief er ihr nach. »Und grüß Choatk herzlich von mir.«
Verdutzt darüber, daß der Fremde sie nicht nur verstanden hatte, sondern auch den Namen des Nomadengottes kannte, der über das Reich der Hölle herrschte, blickte Luma zurück und sah, daß er lachte. Sie sah auch, daß er die Lederbeinlinge und hohen Stiefel der Schlangenkrieger trug. Kein Wunder, daß er das Wort für Hölle kannte. Ranala sorgte wahrscheinlich dafür, daß er schon auf Erden darin lebte.
Hätte sie an Bord eines Schiffes gehen und nach Alzac zurücksegeln können, Luma hätte nicht gezögert, aber ein Blick auf die weißen Schaumkronen in der Bucht sagte ihr, daß heute kein Raspa auslaufen würde. So machte sie sich statt dessen auf die Suche nach Keshna. Sie fand sie am Strand, damit beschäftigt, mit Steinen nach Seemöwen zu werfen. Sie versuchte nicht wirklich, die Möwen zu treffen, aber es schien ihr Spaß zu machen, Panik unter ihnen zu verbreiten.
»Das war Kandar!« rief Keshna, als Luma ihr von der Begegnung mit dem Fremden erzählte. »Du hättest beinahe Kandar über den Haufen gerannt! Ich erkenne ihn an deiner Beschreibung!« Zu Lumas Verwunderung brach Keshna in schallendes Gelächter aus. »Kandar! Ausgerechnet Kandar!« prustete sie und wurde ganz rot im Gesicht.
»Wie schön, daß du so gut gelaunt bist«, stieß Luma giftig zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Ich bin froh, daß ich mein Teil dazu beitragen kann, dich vergessen zu lassen, daß wir deinetwegen nicht bei den Schlangen aufgenommen werden. Ich bin überzeugt, wir werden ein großartiges Leben haben, du und ich. Während die Nomaden nördlich des Rauchflusses alles in Schutt und Asche legen, werden wir hier herumsitzen und Däumchen drehen. Ich komme hierher, um dich zu trösten. Ich komme hierher, um dir zu sagen, daß ich um unserer Freundschaft willen darauf verzichtet habe, Kriegerin zu werden, und was tust du? Du lachst mich aus ...«
»Hör auf, hör auf«, kicherte Keshna.
»Ich denke gar nicht daran! Bist du übergeschnappt? Hör sofort auf zu lachen, oder ich werde nie wieder ein Wort mit dir sprechen, das schwöre ich dir! «
Keshna hörte so abrupt zu lachen auf, daß es fast unheimlich war. »Wie du meinst«, sagte sie. »Ist es so besser?«
»Ja«, knurrte Luma. »Aber ich möchte trotzdem wissen, warum du nicht außer dir bist.«
Keshna seufzte und sah Luma an, als ob sie ihr leid tue. Es war ein Blick, der einen rasend machen konnte; die Art von Blick, die in Luma das Bedürfnis weckte, ihre Cousine zu packen und ins Meer zu werfen. »Du verstehst wirklich nicht, oder?«
»Nein. Ich verstehe dich nicht. Hätte Ranala
mich
ein rotznäsiges, unzuverlässiges kleines Stück Ziegenscheiße genannt, würde ich mir das zu Herzen nehmen. Und wenn meine beste Freundin gerade mir zuliebe auf die Erfüllung ihres größten Traums verzichtet hätte, würde ich ein klein wenig Dankbarkeit zeigen. Und wenn sie mir erzählte, daß sie gerade beinahe den Anführer der Nattern über den Haufen gerannt hätte, würde ich sie bestimmt nicht auslachen. Ich würde zu ihr sagen ...«
Plötzlich zog Keshna Luma an sich und umarmte sie fest. »Na komm«, murmelte sie beruhigend. »Reg dich nicht gleich so auf. Ich habe dich nicht ausgelacht. Du bist die treueste Freundin, die man sich nur wünschen kann. Und ich habe mich nicht bei dir bedankt, weil ich nie auf den Gedanken gekommen wäre, du würdest ohne mich mit den Schlangen reiten. Wir haben immer treu zusammengehalten, und so wird es auch bleiben. Aber siehst du denn nicht, welchen Gefallen Ranala uns getan hat?«
»Gefallen?« Luma wich zurück und starrte Keshna ungläubig an. »Was redest du denn da? Ranala hat uns keinen Gefallen getan. Hast du nicht gehört, was sie gesagt hat? Sie hat uns für immer aus dem Schlangenverband geworfen!«
»Aber das ist es doch gerade! Begreifst du denn nicht? Wenn wir mit den Nattern geritten wären, hätten wir sowohl von Ranala als auch von Kandar Befehle entgegennehmen müssen. Ich bin froh, daß du ihr eine Absage erteilt hast. Ich bin froh, daß du Kandar beinahe über den Haufen gerannt hättest. Jetzt können wir so gegen die Nomaden kämpfen, wie
wir
es wollen. Es steht uns frei zu tun, was wir wollen!«
Luma spürte einen unangenehmen Kloß, der sich in ihrer Kehle bildete. Sie blickte Keshna verzweifelt an. »Willst du mir
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