Althalus
Brüder und ich existieren auf einer anderen Wirklichkeitsebene, die immer wieder durchscheint, und wenn wir sie noch so sehr zu verbergen suchen. Du erinnerst dich gewiss, dass du sie manchmal sogar bemerkt hast, als ich Emmy die Katze war. Ich bin von Natur aus zärtlich, und das scheint sich nicht auf die Dauer verheimlichen zu lassen.«
»Trotzdem halte ich es für besser, wenn du deinen Pelz wieder anlegst, Em. Unsere jungen Freunde müssen selbstständig und klar denken können, vor allem während wir jetzt hier sind, und dazu wären sie beim Anblick vollendeter Schönheit nicht in der Lage.«
»Es ist Teil unserer Aufgabe hier, Althalus, dass die anderen sich an meine Anwesenheit gewöhnen. Und es ist bei weitem besser, dass es ihnen den Kopf hier verdreht als in der wirklichen Welt, wenn es noch dazu hart auf hart geht.«
»Vielleicht.« Althalus war durchaus nicht überzeugt. »Da ist noch etwas. Wirst du nicht zu sehr auffallen, wenn wir außerhalb des Hauses sind?«
Sie zuckte die Schultern. »Dann werde ich wieder Emmy die Katze sein.«
»Ist das deine eigene Idee, oder hat dein Bruder dir verboten, das Haus in deiner wahren Gestalt zu verlassen?«
»Verboten?«, entrüstete sie sich.
»Nun, schließlich ist er eine Gottheit.«
»Das bin ich auch, Althalus, und niemand sagt mir, was ich tun darf und was nicht! Emmy ist meine Schöpfung, nicht die meines Bruders. Ich bediene mich ihrer als Tarnung. Du müsstest doch alles über Tarnung und Täuschung wissen. Es ist Teil deines Handwerks, ebenso wie des meinen. Keiner meiner Brüder braucht zu wissen, was ich tue. Und indem ich als Katze umherschleiche, erfahren sie es auch nicht.« Sie lachte verschmitzt. »Hin und wieder schleiche ich mich sogar an Deiwos heran, und er spürt nicht einmal, dass ich in seiner Nähe bin.«
»Du und Deiwos steht euch sehr nahe, nicht wahr?«
»Eigentlich nicht. Wir haben unterschiedliche Interessen, deshalb gibt es auch nicht sehr viel, worüber wir uns unterhalten könnten. Wir begrüßen uns, wenn wir einander begegnen, aber das ist es eigentlich schon.«
»Eine Gottheit zu sein ist offenbar eine recht einsame Sache.« »Nein. Wir haben unsere Gedanken zur Gesellschaft.« Sie bedachte ihn mit einem leidenschaftlichen Blick. »Und jetzt habe ich außer meinen Gedanken auch dich.«
»O ja, und mich wirst du nicht wieder los.« Da fiel ihm etwas ein. »Wenn ihr, du und deine Brüder, so vollkommen in eurem Wesen und Wirken seid, warum versucht Daeva dann alles zu verändern? Was verspricht er sich davon?«
»Oh, das reicht weit zurück, Althalus«, erwiderte sie versonnen. »Daeva vernichtet - doch nur die Dinge, die Deiwos und ich ihm zu vernichten erlauben, und das erniedrigt ihn. Er ist der Lumpensammler des Universums, der aufklaubt, was wir fortwerfen. In gewissem Sinne ist er der Gott des Nichts und durchdrungen von ewiger Finsternis. Deiwos ist glücklich, wenn er erschafft, und mir macht es Freude, seine Schöpfungen zu bewahren. Doch in der
Finsternis und Leere gibt es nicht viel Freude. Deshalb hat Daeva, als seine Einsamkeit unerträglich wurde, Ghend aufgesucht, damit er Gefährten für ihn finde, um die Leere seines Daseins zu füllen. Ich fürchte nur, dass mein Bruder mit Ghend nicht die richtige Wahl getroffen hat.«
»Er tut dir leid, Dweia, nicht wahr?«
»Ein bisschen, ja. Ich bin für mein weiches Herz bekannt.«
Althalus blickte aus dem Ostfenster und sah, dass der Morgenstern aufgegangen war. »Es ist gleich Zeit, die Kinder zu wecken.« Er kratzte sich am Kinn. »Du hast wahrscheinlich Recht mit den getrennten Schlafgemächern, aber wäre nicht ein gemein sames Esszimmer angebracht? Wenn du Mauern zwischen Knaben-Personen und Mädchen-Personen errichtest, hat das nur zur Folge, dass die meisten darüber nachdenken, wie sie diese Mauern überwinden können. Geben wir ihnen jedoch die Möglichkeit, bei den Mahlzeiten zusammenzukommen und hin und wieder auch hier im Turmgemach, werden sie sich bemühen zu lernen, was du ihnen beibringen willst. Und ein wenig gemischte Gesellschaft hilft vielleicht auch, gewisse Triebe im Zaum zu halten. Stimmt's?«
»Du hast Recht, Althalus. Manchmal überraschst du mich. Richte schon mal ein Esszimmer in der Nähe der Schlafgemächer her. Ich werde hier oben auf dich warten. Auf diese Weise kannst du sie auch ein wenig auf die neue Emmy vorbereiten.«
»Das ist auch keine schlechte Idee.«
»Oh, was das Thema Mahlzeiten betrifft -da ist noch
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