Althalus
Umhang benötigte er hier jedenfalls nicht.
Sein Verstand sagte ihm, dass es in diesem Gemach nicht warm sein konnte, weil hier kein Feuer brannte und weil der Raum zudem vier große Fenster besaß, die in die vier Haupthimmelsrichtungen wiesen. Durch diese unverglasten Fenster hätte kühler Wind wehen müssen, was aber nicht der Fall war -und somit völlig unnatürlich. Der Winter war nah und die Luft draußen bitterkalt, doch aus irgendeinem Grund drang sie nicht ins Innere des Hauses.
Althalus stand an der Tür und betrachtete eingehend jede Einzelheit des Kuppelgemachs. An der hinteren Wand stand etwas, das wie ein riesiges steinernes Bett aussah, und darauf lagen Roben aus dicken weichen Büffelfellen. Auf einem Steinpodest in der Mitte des Gemachs befand sich ein Tisch aus dem gleichen glänzenden Stein wie der Fußboden und die Wände, und daneben eine kunstvoll aus Stein gehauene Bank.
Und genau in der Mitte der glänzenden Tischplatte lag das Buch, von dem Ghend gesprochen hatte.
Vorsichtig ging Althalus zu dem Tisch. Er lehnte den Speer dagegen, und mit dem Schwert fest in der Rechten streckte er zögernd die linke Hand aus. Die Art und Weise, mit der Ghend in Nabjors Lager das schwarze Schatullenbuch berührt hatte, ließ darauf schließen, dass Bücher mit größter Vorsicht behandelt werden sollten. Althalus' Finger berührten das weiche weiße Leder der Buchschatulle, dann aber riss er rasch die Hand zurück, um nach seinem Speer zu greifen, weil er ein schwaches Geräusch vernahm.
Es war ein weicher, zufrieden klingender Laut, der von dem fellbedeckten Bett zu kommen schien. Das Geräusch war nic ht durchgehend und schien auch seine Tonhöhe nicht beizubehalten; es erinnerte ein wenig an das Ein-und Ausatmen.
Bevor Althalus nachzusehen vermochte, geschah etwas anderes, das seine Aufmerksamkeit von dem Laut ablenkte. Die Dämmerung vertiefte sich vor den Fenstern, doch in dem Gemach wurde es nicht dunkel. Althalus blickte erstaunt in die Höhe. Die Kuppel über ihm hatte zu glühen angefangen und wurde in gleichem Maße heller, wie es im Freien dunkler wurde. Von der Sonne, dem Mond und dem schimmernden Vorhang des Gotteslichts am Rand der Welt abgesehen, war das Feuer die einzige Lichtquelle, doch die Kuppel über Althalus' Kopf brannte nicht.
Dann wurde das zufriedene Geräusch lauter, das vom Bett ausging. Und nun, da es vom Leuchten der Kuppel heller war, konnte Althalus sehen, wer dieses Geräusch verursachte. Er blinzelte, dann lachte er beinahe. Der Laut kam von einer Katze.
Es war ein sehr dunkles, fast schwarzes Tier, dessen Fell sich kaum von den Büffelroben auf dem Bett abhob, sodass Althalus es gar nicht gesehen hatte, als er ins Gemach eingedrungen war. Die Katze lag auf dem Bauch und hielt den Kopf erhoben, obwohl sie die Augen geschlossen hatte. Die Vorderpfoten waren ausgestreckt; es sah aus, als würde sie damit treten. Das Geräusch, das Althalus nicht hatte deuten können, war das Schnurren der Katze gewesen. Da öffnete sie die Augen. Die meisten Katzen, die Althalus bisher kannte, hatten ihn mit gelben Augen angestarrt. Die Augen dieser Katze jedoch glühten in einem tiefen Grün.
Das Tier richtete sich auf, gähnte, machte einen geschmeidigen Buckel und hob den leicht gebogenen Schwanz. Dann setzte sich das pelzige Geschöpf und blickte Althalus mit seinen grünen Augen eindringlich an, als würde es ihn sein Leben lang kennen.
»Du hast dir sehr viel Zeit gelassen, bis du hergekommen bist«, bemerkte die Katze mit unverkennbar weiblicher Stimme. »Wie war's, wenn du jetzt die Tür schließt? Du hast sie weit offen gelassen. Die Kälte dringt ein, und ich hasse Kälte.«
5
Althalus starrte die Katze fassungslos an. Dann seufzte er tief und ließ sich niedergeschlagen auf die Bank fallen. Seiner Glücksfee genügte es noch nicht, was sie ihm bereits angetan hatte. Jetzt drehte sie auch noch die Klinge, die sie ihm in die Brust gestoßen hatte. Jetzt glaubte Althalus zu wissen, weshalb Ghend ihn angeworben hatte, das Buch an seiner statt zu stehlen. Das Haus am Ende der Welt brauchte keine Wächter oder heimtückische Fallen. Es schützte sich und das Buch vor Eindringlingen, indem es jeden ungebetenen Besucher in den Wahnsinn trieb. Wieder seufzte Athalus und blickte die Katze vorwurfsvoll an.
»Ja?«, fragte sie mit der aufreizenden Überlegenheit, die anscheinend allen Katzen zu Eigen ist. »Gibt es etwas?«
»Du kannst damit aufhören! Du und das Haus habt
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