Althalus
es gab nur noch Wolken.
Er trat von dem toten Baum zurück und schaute sich um. Da und dort lagen Felsbrocken und Steine. Althalus hob einen auf, der die Größe seines Kopfes besaß, ging damit zum Baum und warf den Stein über den Rand, so weit er konnte. Dann spitzte er die Ohren.
Er lauschte lange Zeit, doch es war nichts zu hören. »Ah«, murmelte er, »hier also muss es sein.« Er trat ein Stück vom Rand der Welt zurück und folgte ihm nordostwärts.
Es gab Stellen, wo Felslawinen von nahen Berghängen abgegangen und über den Rand gestürzt waren. Althalus fragte sich müßig, ob diese Lawinen die Sterne erschreckt hatten. Aus irgendeinem Grund reizte ihn die Vorstellung zum Lachen, dass die Sterne wie eine Schar aufgescheuchter Wachteln verschreckt in alle Richtung davon geflogen sein mochten, umso mehr, da ihre kalte Gleichgültigkeit ihn manchmal ärgerte.
Am Spätnachmittag nahm er seine Schleuder aus der Tasche und hob ein paar runde Steine aus einem trockenen Bachbett auf. Es gab hier Hasen und Murmeltiere, und ein bisschen frisches Fleisch
wäre eine schmackhafte Abwechslung zu den Streifen gedörrten Rehfleisches, die er im Beutel an seinem Gürtel bei sich trug.
Es dauerte nicht lange. Murmeltiere sind sehr neugierig und stellen sich neben ihrem Bau auf die Hinterpfoten, um vorüberkommende Wanderer zu beobachten. Althalus hatte scharfe Augen und war sehr geschickt mit seiner Schleuder.
Er wählte einen kleinen Hain verkrüppelter Nadelbäume, um Feuer zu machen und das erlegte Murmeltier am Spieß zu braten. Nach dem Essen blieb er neben seinem Feuer sitzen und beobachtete das pulsierende, regenbogenfarbige Licht von Gottes Feuer am Nordhimmel.
Kurz nach Mondaufgang verließ er auf einen plötzlichen Einfall hin sein Lager und schlenderte hinüber zum Rand der Welt.
Der Mond liebkoste die schleierfeinen Hauben der in der Tiefe ruhenden Wolken und brachte sie zum Leuchten. Natürlich hatte Althalus dergleichen schon gesehen, nur war es hier anders. Auf seinem nächtlichen Weg entzieht der Mond dem Land, der See und dem Himmel alle Farbe, hier jedoch hatte er keine Macht über die Farben von Gottes Feuer. Die brandenden Wellen des Regenbogenlichts am Nordhimmel ließen auch die Wolkenhauben flammend rot aussehen. Beinahe schien es, als spielten sie dort mit dem bleichen Schein des Mondes und ermutigten das Regenbogenfeuer zu dieser zauberhaften Darbietung. Benommen vom Spiel des farbigen Lichts, das ihn umgab und einzuhüllen schien, legte Althalus sich ins weiche Gras, stützte das Kinn auf die Hände und beobachtete das Werben des Mondes und des Gottesfeuers.
Da hörte er wieder irgendwo zwischen den zerklüfteten Gipfeln im Lande der Kagwherer das einsame wimmernde Heulen, das ihm aus Arum und aus dem Wald vor Nabjors Haus vertraut war. Flu chend erhob er sich und kehrte zu seinem Lager zurück. Welches Wesen dieses Wimmern auch ausstieß, es schien ihn zu verfolgen.
In dieser Nacht schlief Althalus sehr unruhig. Das Feuer Gottes am Nordhimmel und das wimmernde Heulen schienen irgendwie zusammenzugehören und besaßen eine Bedeutung, die er nicht zu fassen vermochte, so sehr er sich auch bemühte. Kurz vor der Morgendämmerung verdrängte ein anderer Traum den von Feuer und Geheul.
Ihr Haar besaß die Farbe des Herbstes und ihr Körper die üppige Vollendung, die Althalus vor Sehnsucht nach ihr beben ließ. Sie trug einen kurzen, derben Kittel und ihr Haar war kunstvoll geflochten. Die heitere Gelassenheit, die aus ihren Zügen sprach, verlieh ihr ein Aussehen, als käme sie aus einer fremden, vielleicht schon vergangenen Welt. Als Althalus im Sommer die zivilisierten Lande im Süden besuchte, hatte er die antiken Statuen bewundert, und das Gesicht seiner Traumbesucherin ähnelte dem dieser Skulp turen mehr als dem jetzt lebender Menschen. Ihre Stirn war hoch, ihre Nase von edelster Form, und ihre fein geschwungenen Lippen versprachen alle sinnlichen Verlockungen dieser Welt. Ihre Augen waren groß und tiefgrün und schienen Althalus bis in die Tiefen der Seele zu blicken.
Ein leichtes Lächeln huschte über ihre Lippen. Sie streckte die Hand aus. »Komm«, forderte sie ihn auf. »Komm mit mir. Ich werde für dich sorgen.«
»Ich wünschte, ich könnte es«, hörte er sich erwidern und verfluchte seine Zunge. »Ich würde es zu gern. Aber es ist so schwer, hier weg zu kommen.«
»Wenn du mit mir gehst, wirst du nie zurückkehren«, sagte sie mit ihrer erregenden Stimme, »denn wir
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