Althalus
sehen, Schatz«, sagte sie. »Du wirst schon sehen.«
Trotz ihrer Überheblichkeit -Althalus hatte den starken Verdacht, dass sie diese Eigenschaft in ihrer wahren Gestalt ebenfalls besaß -, war Emerald ein zärtliches Geschöpf, das ihm immer möglichst nahe sein wollte. Er schlief zwischen den dicken Büffelfellen auf dem steinernen Bett, und sie kuschelte sich an ihn und schnurrte zufrieden. Anfangs mochte er das nicht; deshalb deckte er sich mit seinem wollenen Umhang zu, den er am Hals zusammenhielt; Emerald hatte sich ans
Fußende des Bettes gesetzt und ihn gelassen beobachtet. Wenn er dann eingeschlafen war und den Umhang nicht mehr zusammenhielt, schlich sie lautlos das Bett hin auf, bis sie unmittelbar hinter seinem Kopf war. Dann drückte sie geschickt ihre kalte feuchte Nase an seinen Nacken, und Althalus zuckte bei dieser überraschenden Berührung zusammen. Das verschaffte ihr Gelegenheit, unter den Umhang zu gelangen, und sie kuschelte sich an seinen Rücken und schnurrte, ein für Althalus ungemein beruhigendes Geräusch, sodass es ihn nicht störte, sie neben sich zu wissen. Da ihr dieses Spiel großen Spaß zu machen schien, schloss Althalus weiterhin seinen Umhang eng um den Hals und gab ihr die Gelegenheit hineinzukriechen, wenn er schlief. Es kostete ihn nichts, und solange sie Freude daran hatte …
Eine ihrer Angewohnheiten mochte er allerdings gar nicht: Sie wusch ihm das Gesicht - für gewöhnlich, wenn er tief und fest schlief, worauf er abrupt erwachte, weil sie ihre Pfoten halb um seinen Kopf geschlungen hatte, um ihn ruhig zu halten, während sie ihm mit ihrer rauen Zunge vom Kinn bis zur Stirn das Gesicht leckte. Die ersten paar Male war er zurückgezuckt und hatte frei zu kommen versucht, doch immer dann hatte sie die Pfoten angespannt und ihn ganz leicht ihre Krallen spüren lassen. Althalus ver stand. Er konnte diese Ableckerei nicht ausstehen, hatte aber gelernt, sie zu erdulden. Wenn zwei zusammenlebten, mussten immer Abstriche gemacht werden, und von ein paar unangenehmen Angewohnheiten abgesehen war es gar nicht so schwer, mit Emerald auszukommen.
Obwohl die anhaltende Dunkelheit im hohen Norden es unmöglich machte, Anfang und Ende eines Tages zu erkennen, war Althalus ziemlich sicher, dass ihr Tagesablauf sich ziemlich genau nach dem Auf-und Untergehen der Sonne weiter im Süden richtete. Natürlich ließ diese Vermutung sich nicht bestätigen, doch Althalus hielt es für sinnvoll, daran zu glauben.
Seine »Tage« verbrachte er am Tisch vor dem aufgeschlagenen Buch, neben dem Emerald aufmerksam saß. Ihre Unterhaltung beschränkte sich hauptsächlich darauf, dass er auf ein Symbol tippte, das ihm noch nicht vertraut war und fragte: »Was bedeutet das?« Emerald sagte es ihm, worauf er weitermachte, bis er wieder zu einem ihm fremden Bild kam. Die Pergamentseiten lagen lose in der weißen Lederschatulle, und Emerald wurde sehr ungehalten, wenn Althalus sie falsch zurücklegte. »Sie ergeben keinen Sinn, wenn du sie so durcheinander bringst«, rügte sie ihn.
»Vieles davon macht sowieso keinen Sinn.«
»Leg sie zurück, wie sie waren!«
»Schon gut, schon gut. Mach dir keinen Knoten in den Schwanz.« Diese Bemerkung löste stets eine ihrer kleinen Balgereien aus: Emerald legte die Ohren zurück, duckte sich über ihre Vorderpfoten, wobei ihr Hintergestell hin und her schwang, und peitschte mit dem Schwanz. Dann sprang sie auf Althalus' Arm und nahm seine Hand ins Mäulchen. Doch sie fuhr dabei nie die Krallen aus, und wenngleich sie wild fauchte, biss sie nicht zu.
Althalus rächte sich, indem er mit der freien Hand ihr Fell zerwühlte, was Emerald zu hassen schien, weil sie immer ziemlich lange brauchte, bis sie es mit der Zunge wieder geglättet hatte.
Da Emerald eine Katze war, zumindest in ihrer derzeitigen Erscheinungsform, verfügte sie über einen ausgesprochen scharfen Geruchssinn und beharrte darauf, dass Althalus sich regelmäßig wusch -jedes Mal wenn er sich auch nur umdrehte, wie ihm schien, denn eine große geflieste Wanne mit dampfendem Wasser tauchte dann plötzlich neben dem Bett auf, worauf Althalus sich erhob und sich seufzend auszog. Er hatte erkannt, dass es leichter war zu baden, als mit Emerald zu streiten. Im Lauf der Zeit genoss er es sogar, sich vor jedem Abendessen im warmen Wasser zu aalen.
In diesem langen Winter kam Althalus ein seltsamer Gedanke, der vermutlich auf die ständige Dunkelheit zurückzuführen war. Er war immer noch nicht
Weitere Kostenlose Bücher