Althalus
machen sollen. Es spart viel Zeit, wenn jemand Befehle befolgt, ohne erst endlose Diskussionen anzufangen wie einer, den ich kenne.«
»Dürfte ich jetzt meine Stimme zurück haben?« »Ja, Schatz. Ich brauche sie nicht mehr, jedenfalls zurzeit nicht. Sobald ich sie wieder benötige, gebe ich dir Bescheid.«
Das Fährschiff brachte sie über den westlichen Nebenlauf des Medyos, und sie ritten in die Ruinenstadt. Beinahe alle Priester, die dort zwischen den zerfallenen Häusern in unfachmännisch errichteten Holzhütten hausten, trugen Kutten mit Kapuzen. Trotzdem gab es erkennbare Unterschiede zwischen ihnen: Die Kutten jener, die im nördlichen Teil der Ruinenstadt lebten, waren schwarz; diejenigen, die in der Mitte von Awes wohnten, trugen weiße Kutten, und die an der Flussgabelung zu Hause waren, kleideten sich in braune Kutten. Althalus fiel auf, dass sie kaum miteinander redeten, höchstens um zu streiten.
»Ihr deutet das völlig falsch«, sagte ein Priester aus dem Nordende der Stadt, der eine schwarze Kutte trug, zu einem fetten Burschen in weißer Kutte. »Der Wolf hielt sich im neunten Haus auf, als es geschah, nicht im zehnten.«
»Die Karten lügen nicht!«, brauste der fette Priester auf. »Die Sonne hatte sich inzwischen zum vierten Haus bewegt, und das bedeutet, dass der Wolf im zehnten war!«
»Worüber streiten sie?«, erkundigte Althalus sich stumm bei Emmy.
»Astrologie. Sie ist ein Eckpfeiler der Religion.«
»Welcher Religion? «
»Im Grunde genommen der meisten Religionen, denn sie gründen sich auf den Wunsch zu erfahren, was die Zukunft bringt. As trologen glauben, dass alles in den Sternen steht, was in kommenden Zeiten geschehen wird.«
»Und stimmt das?«
»Warum sollten die Sterne etwas damit zu tun haben, was hier geschieht? Außerdem gibt es die meisten Sterne gar nicht mehr, über welche die Priester hier streiten.«
»Ich fürchte, das verstehe ich nicht, Em.«
»Die Sterne sind Feuer, und Feuer erlöscht irgendwann.«
»Wenn sie erloschen sind, warum streiten die Priester dann noch ihretwegen? «
»Weil sie nicht wissen, dass diese Sterne erloschen sind.«
»Sie brauchen doch bloß nachzusehen, Em.«
»So einfach ist das nicht, Althalus. Die Sterne sind viel weiter entfernt, als den Menschen bewusst ist, und es dauert eine lange Zeit, ehe ihr Licht uns erreicht. Wahrscheinlich gibt es die Hälfte der Sterne gar nicht mehr, die du des Nachts am Himmel bewunderst. Jedenfalls versuchen die Priester hier die Zukunft vorherzusagen, indem sie auf die Geister toter Sterne blicken.«
Althalus zuckte die Schultern. »Nun ja, wenigstens haben sie dann etwas zu tun.« Er ließ den Blick über die Ruinen und schuttbestreuten Straßen schweifen. Die Priester schlenderten einzeln oder in kleinen Gruppen umher, doch gab es in Awes auch Leute, die nicht in Kutten gekleidet waren. Althalus sah einen Mann, der neben einer halb eingefallenen Mauer so etwas wie einen Laden errichtet hatte. Er stand hinter einem groben Tisch, auf dem Töpfe, Pfannen und Kessel aufgebaut waren.
»Willkommen, Freunde.« Der Mann rieb sich hoffnungsvoll die Hände. »Seht Euch um und kauft. Seht Euch um und kauft. Ihr werdet in ganz Awes keine besseren Töpfe und Kessel zu niedrigeren Preisen finden als bei mir.«
»Sei vorsichtig, Althalus«, murmelte Emmy. »Das ist Khnom. Er arbeitet für Ghend.«
»Dann wusste Ghend, dass wir hierherkommen?«
»Nicht unbedingt. Er hat wahrscheinlich nur seine zahlreichen Knechte beauftragt, die Augen nach uns offen zu halten. Präg dir Khnoms Gesicht ein. Er wird uns wahrscheinlich wieder über den Weg laufen.«
»Sucht Ihr nach irgendetwas Besonderem, Freund?«, erkundigte sich der angebliche Händler. Er war ein kleinwüchsiger Mann und offenbar darauf bedacht, Althalus nicht in die Augen zu blicken.
»Ja, nach Auskunft, um ehrlich zu sein, Nachbar«, antwortete Althalus. »Ich bin mit den Sitten hier in Awes nicht vertraut. Wäre es möglich, dass ich ein Geschäft in einer der unbenutzten Ruinen eröffne?«
»Das wäre keine so gute Idee«, entgegnete der Händler. »Geschäfte werden hauptsächlich in diesem mittleren Teil der Stadt getätigt, und die ›Weißkutten‹, die hier sozusagen nach dem Rechten sehen, erwarten eine ›Spende‹, wie sie es nennen, ehe jemand ein Geschäft eröffnen kann.«
»Eine Bestechung, meint Ihr?«
»Ich würde dieses Wort nicht vor ihnen in den Mund nehmen. Tut so, als wärt Ihr ein frommer Einfaltspinsel. Alle
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