Altherrensommer
Zeitung liest, dass es vier Mal mehr männliche als weibliche Stotterer gibt, drei Mal so viel Selbstmordversuche und zehn Mal mehr männliche als weibliche Schulabbrecher. Von der Tatsache, dass 97% aller Jugendstraftaten von Jungen begangen werden, ganz zu schweigen. Steht Mama an einem Werktag morgens zwischen sieben und acht an einer städtischen Bus- oder Straßenbahnhaltestelle, beobachtet sie etwas, das ist sozialwissenschaftlich sofort mit tausend Gegenbeispielen widerlegbar. Aber komischerweise ist es niemandem unbekannt: Da stehen junge Frauen, im Alter von schätzungsweise 18 bis 25 Jahren, in Bluse und Hosenanzug, Rock und Jacke. Es sind angehende Reisekauffrauen, Bankangestellte, Physiotherapeutinnen oder EDV-Sachverständige. Sie haben selbstverständlich einen Führerschein, manchmal auch einen eigenen Kleinwagen, sie wohnen in WGs und würden vom ersten Ersparten gern mit einer Freundin nach Mallorca fliegen. Neben ihnen stehen gleichaltrige junge Männer in Muskel-T-Shirt und
Kapuzensweater, militärfarbener Buggyhose und riesigen Chucks. Die hängen in schulischen Endlosschleifen und beruflichen Fördermaßnahmen und wissen nicht genau, was sie beruflich gerne täten, nur halt nichts »Spießiges«. Fast ausnahmslos zu Hause bei Muttern wohnend, wirken sie seltsam unerwachsen, irgendwie verschusselt und verbummelt, spätpubertär verträumt. Nicht ganz ernst zu nehmende Schlakse, die aber genau das unbedingt wollen: Ernst genommen werden.
Wo ein gesellschaftliches Problem ist, ist auch bald ein Forschungsauftrag. Und so konnte Soziologieprofessor Gerhardt Amendt, Leiter des »Instituts für Geschlechter- und Generationenforschung« an der Bremer Universität, auf empirische Studien gestützt ab Mitte der nuller Jahre wettern, all dies sei das Ergebnis »einer ideologischen Feminisierung der Gesellschaft«. Das Programm »Gender Mainstreaming« (die Förderung von Geschlechtergerechtigkeit in Behörden und Konzernen, Schulen und Betrieben, in Kultur und im öffentlichem Leben) sei »eine verkappte Frauenförderung, letztlich nichts anderes als die staatliche Umerziehung der Männer. Ein Konzept, das im Wesentlichen in der schwullesbischen Subkultur formuliert wurde«. 35
Vereinfacht gesagt: Was einst als Gleichstellung gedacht war, ist zur Verachtung alles Männlichen ausgeufert. Schuld sind außer den Frauen vor allem die Schwulen. Es gäbe, sprang ihm Soziologiekollege und Männerforscher Walter Hollstein zur Seite, einen »feministischen Angriff auf die Bilderwelt des Mannes und damit auf seine Identität, denn das Bild, das Männer von sich haben, ist identitätsstiftend.
« Hollstein weiter: »Einst hochgelobte männliche Eigenschaften wie Leistungswille, Disziplin und Autonomie werden umgedeutet zu Karrierismus, Zwanghaftigkeit und Beziehungsunfähigkeit. Das Gros der Arbeitslosen, Hilfsarbeiter, Obdachlosen und chronisch Kranken ist männlich, ohne dass jemand dies zum Anlass nähme, darin eine gesellschaftliche Ungerechtigkeit zu sehen.« 36
Das hörten nicht nur verbitterte Scheidungsväter mit Genugtuung, sondern auch jene Männer, die sich – unterschwellig, versteht sich – von all den wortgewandten, gutaussehenden Nachrichtensprecherinnen und Moderatorinnen im Fernsehen verunsichert fühlten. Die sich von den taffen Politikerinnen in Bund und Ländern, von den wichtigtuerischen Rollkoffer-Geschäftsfrauen auf Bahnhöfen und Flughäfen, von den schicken Cabriofahrerinnen, den freundlich energischen Ärztinnen und den klugen Apothekerinnen zurückgesetzt, herabgesetzt und übertölpelt fühlten. Je niedriger der Bildungsstand und je konservativer die politische Grundeinstellung der verunsicherten Männer ist, umso schneller verklumpen die einzelnen Zutaten der Geschlechtergerechtigkeit zur übelriechenden Teigmasse: Echte Kerle kriegen keine Chance mehr. Was uns Spaß macht, wird belächelt. Was wir gut können, ist nicht gefragt. Etwas vornehmer ausgedrückt: Die Deutungshoheit, was richtiges und was falsches Verhalten im Alltag ist, haben Frauen!
Nur der pro-feministische Mann sei der öffentlich erlaubte Mann, klagen die Männerrechtler. Hier stimmen jene kirchlich »Wertkonservativen« laut mit ein, die immer schon das patriarchale Ehemodell der 60er Jahre, die Mutterschaft
aller gesunder Frauen und die Unsichtbarkeit homosexueller Menschen herbeisehnten: pluralitätsmüde Bürger, die vom Staat eine politische Festschreibung »natürlicher« Geschlechterrollen verlangen,
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