Altherrensommer
also »das Normale« stärker geschützt haben wollen. Wobei die uralte Debatte, was außer den Geschlechtsorganen »natürlich männlich« und »naturgegeben weiblich« sei, von keiner Wissenschaftsdisziplin jemals letztgültig beantwortet wurde. Trotzdem: Rechtsnationale Zeitungen wie die »Junge Freiheit« und sogar intellektuell-bildungsbürgerliche Edelgazetten wie »FAZ« oder »Cicero« benutzten die Diskussion um Jungen-Förderung im Bildungswesen und Männergerechtigkeit in der Sozialpolitik als Plattform, um mit »dem Feminismus« abzurechnen. Auf katholischen Webseiten und in evangelikalen Tendenzblättern werden kinderlose Karrierefrauen verteufelt und staatliche Betreuungsangebote verunglimpft, so als wären KiTas sozialistische Umerziehungslager. Publizist Thomas Gesterkamp nannte das einen »Familienfundamentalismus« 37 , der die angeblich gottgewollt natürliche Rollenzuweisung für Mann und Frau genauso dogmatisch betonieren will wie das »Gender Mainstreaming« die angeblich absolute und totale Gleichheit der Geschlechter. Erzfeinde ähneln sich halt bald.
Es hat sich was gedreht, denkt der fünfzig-/sechzigjährige Ehemann einer soft-feministischen, nicht hennagefärbten Frau ohne Doppelnamen und Batikrock. An den Familienfotos entlang, treppab und quer durchs Wohnzimmer, erreicht er den zweitgrößten Raum des Hauses: sein Arbeitszimmer. Es heißt immer noch so. Er lässt sich in den Chefsessel fallen – der heißt auch immer noch so – und
denkt an seinen Sohn. Der ist knapp 30, eigentlich Informatiker, und muss sich gegen exzellent ausgebildete Konkurrentinnen auf dem Arbeitsmarkt behaupten. Abends entspannt sich Sohnemann daheim beim Spiel mit den Kindern. Den zweien, die seine Lebensgefährtin mit in die Beziehung brachte, und ihrem gemeinsamen. Ein im Prinzip pro-feministischer junger Mann mit einer prinzipiell post-feministischen Freundin. Die beiden können ihre anstrengende Patchworkfamilie nicht einfach dadurch über die Runden retten, dass sie in die konservativen Rollenklischees von TV-Ekel Alfred Tetzlaff oder Familie Hesselbach zurückfallen. Aber auch nicht dadurch, dass jedes Stündlein Broterwerb, Haushalts- oder Familienarbeit, jede Höflichkeitsgeste und jeder Gedankenaustausch politisch korrekt »gender gemainstreamt« wird.
Das findet Opa übrigens gut an allen seinen Kindern und Schwiegerkindern: Für Ideologie-Debatten sind die viel zu pragmatisch. Bevor die Lebensgefährtin seines Sohnes ihm z.B. heute Morgen die Kleine in den Buggy und die Teeflasche in die Hand drückte – »geh mit ihr ruhig mal auf den Spielplatz« –, hat sie bestimmt nicht lange über das pädagogische Für und Wider dieser Betreuung gegrübelt. Also über die Frage, ob Opa das nicht nur kann, sondern auch erzieherisch gut macht. Obwohl er doch schon so alt ist. Und ein Mann. Und vielleicht tief im Herzen ein Macho. Und obwohl er vermutlich keine Ahnung hat, was sich in den letzten zehn Jahren gendermäßig so alles getan hat.
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KARL – UND WAS ZUM GLÜCK NICHT FEHLT
»Kaum bin ich pensioniert, bricht die deutsche Atomindustrie zusammen.« Er, den ich hier Karl Zinn nennen will, lacht und bittet mich herein. Wir treffen uns wenige Wochen nach dem spektakulären Beschluss der schwarzgelben Regierung Merkel vom 6. Juni 2011, acht deutsche Atomkraftwerke sofort und alle weiteren stufenweise bis zum Jahr 2022 abzuschalten. U.a. deswegen besuche ich ihn. Den Rentner, der über 35 Jahre lang für die Sicherheit von Kernkraftwerken mitverantwortlich war. »Ich hab’ auch mal eins abschalten lassen, so ist das nicht.« Pause, verschmitztes Grinsen. »Aber nur für kurze Zeit. Bis unsere Beanstandungen behoben waren.«
Er hat sich hochgearbeitet. Erst Diplom-Ingenieur für Elektrotechnik, dann Studium der Kerntechnik an der Technischen Universität München, dann fünf Jahre Siemens und schließlich Chef von zwei Abteilungen beim TÜV, der im Auftrag der Landesumweltministerien die regionalen Kernkraftwerke überprüft. »Prüfen, prüfen, prüfen. Von der Genehmigung der Pläne zur Errichtung eines Meilers, über die Inbetriebnahme bis zur regelmäßigen Kontrolle des laufenden Betriebs.« Karl sagt das ohne hochgezogene Augenbrauen. Ist er denn kein bisschen stolz auf die Macht, die er mal hatte? »Stolz wäre das falsche Wort. Wir wurden ja von den Technikern in den Kraftwerken nicht gefürchtet wie ein Steuerfahnder, der die Buchhaltung einer Bäckerei sehen will. Wir wurden als Fachkollegen
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