Altherrensommer
fallen. »Und wer kann sich all die Termine und Geschenkwünsche merken?« »Die Termine weiß mein Laptop, die Geschenke meine Frau.«
Hat der Volkswirt unter seinen Schwiegersöhnen schon einmal ausgerechnet, wie viel Konsumgüterumsatz die rund 20 Millionen Opas und Omas dieses Landes machen? Einfach nur dadurch, dass sie Kinder und Enkel beschenken? Von den vier Hochzeiten, die Karl in den letzten zehn Jahren mitbezahlt haben dürfte, ganz zu schweigen. Als hätte er meine Überlegungen zur Wirtschaftsförderung des regionalen Einzelhandels erraten, sagt Karl: »Obwohl ich neben der staatlichen eine gute Betriebsrente kriege, habe ich jetzt etwa 30% weniger Einkommen als vorher. Und das Komische: Wir merken es kaum.« Wie bitte? Skepsis kräuselt meine Stirn: »Wer ein knappes Drittel Verlust nicht bemerkt, hatte vorher 30% zu viel!« Es soll nicht tadelnd klingen, aber so ist es doch, oder? »Nee, da waren die Kinder noch in Ausbildung und wir haben uns finanziell stärker in der Gemeinde engagiert.«
Das ist wahrscheinlich der zweite Grund für Karls Gehaltensein: Die Kirchengemeinde. Durch alle Höhen und Krisen hindurch – mit diesen und mit jenen Pastoren, Hausmeistern und Leitungsverantwortlichen – lebt dieser Mann in einer Gemeinschaft von Gleichgesinnten, die sowohl locker als auch verbindlich ist. Nicht alle Gottesdienstbesucher muss man kennen. Nicht alle religiösen Überzeugungen muss man teilen, nicht alle spirituellen Ausdrucksformen gut finden oder mitmachen. Aber: Mit einigen dieser Christenmenschen kann man befreundet
sein. Gut befreundet sein sogar. So bildete sich in vier Jahrzehnten ehrenamtlichen Engagements um seine direkte Großfamilie ein zweiter Ring aus Menschen, denen Karl und sein Befinden nicht egal ist. Die »nach ihm fragen« und »mal nach ihm schauen«. Auch dann, wenn es ihm so gut geht wie jetzt. Eineinhalb Jahre nach der Pensionierung.
9
UND? WAS MACHEN DIE KINDER?
Was tun Sie, wenn Sie beim Telefongespräch mit Ihrer Tochter hören, dass sie parallel noch ganz andere Dinge tut? Im Hintergrund scheppert Geschirr, es blubbert Wasser in ein Gefäß, es werden Stühle gerückt. Nun gut, warum sollte sie während häuslicher Erledigungen nicht auch zuhören können? Aber wenn im Laufe des Telefonats eine Computertastatur klappert, ganz still, nur so hin und wieder? Mutter würde fragen »Surfst Du im Internet?« und munter weiterplaudern. Vater würde das Telefonat freundlich, aber zügig beenden. Weil er nicht stören möchte? Nein, weil er beachtet werden möchte.
Wie zugewandt seine Kinder ihn noch beachten, wie konzentriert sie ihm zuhören und ob sie überhaupt noch ernst nehmen, was er so erzählt – das muss Vater aber immer seltener am Telefon herausfinden. Das kann er möglicherweise auch noch viele Jahre nach seiner Pensionierung am heimischen Esstisch testen. Wenn denn die – mit jedem Studiensemester schwankende – Zahl stimmt, dass etwa ein Drittel aller 55- bis 69jährigen mit ihren jungerwachsenen Kindern unter einem Dach leben und nur 10% ihre Kinder weiter als zwei Autostunden entfernt wohnen haben 38 , dann gab es noch nie so viele Mehrgenerationen-Haushalte wie heute. Vielleicht gab es überhaupt noch nie so lang anhaltende enge Bindungen zwischen alten Eltern und jungerwachsenen Kindern wie heute. Bereits vor 15 Jahren meinte Zukunftsforscher Horst W. Opaschowski, dass der Anteil jener Ruheständler, die das Zusammensein mit ihren Kindern und Enkeln als wichtigen seelischen »Naherholungsort« bezeichnen, sich verdreifacht habe. 39 Fragt man die Eltern, wie sich das späte Familienglück im Alltag anfühlt und auswirkt, beschreiben sie es – und
hier vor allem die Mütter – fast uneingeschränkt positiv. Klar: Es ist schön, gebraucht zu werden. Es hält innerlich jung, viel Kontakt mit Jüngeren zu haben. Noch lange für die Kinder sorgen zu müssen oder zu dürfen mildert oder verhindert möglicherweise das »Leere-Nest-Syndrom«. Es mildert oder verhindert möglicherweise auch den »Pensionierungs-Schock« mancher Alters-Ehe, plötzlich zu zweit allein zu sein. Fragt man die Kinder, kommen auch keine Klagen. Wer wollte schon meckern oder undankbar sein, wenn man kostengünstig oder kostenlos wohnt, isst, Waschmaschine, Mikrowelle und Auto nutzen darf? Vielleicht sollte man die gleichaltrigen Freunde der 55- bis 69jährigen Eltern fragen, um eine zwar distanzierte, aber etwas »objektivere« Perspektive zu hören.
In Umfragen beteuern
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