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Altherrensommer

Altherrensommer

Titel: Altherrensommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Malessa
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jungen Erwachsenen – notgedrungen, aus Bequemlichkeit, aus Zweckmäßigkeit oder gar aus Bewunderung für die Meinungen und den Lebensstil ihrer Eltern – es schlichtweg aufgegeben haben, sich abzugrenzen? Was, wenn es zu ihrer vielgepriesenen »Coolness«, »Geschmeidigkeit«, »Flexibilität« und »lockeren Entspanntheit« gehört, gar keine Kompetenz- oder Konkurrenzkämpfe mit den Eltern mehr aufkommen zu lassen? Seit das Telefonieren kostenfrei ist, fragt die 28jährige Tochter im argentinischen Auslandssemester ihre Mama daheim, was sie für den Bummel durch die Tapas-Bars anziehen soll. Und der 30jährige Sohn in
Edinburgh bespricht mit seinem Vater die Strom- und Gasrechnung der WG, die er nicht versteht, aber unter den Mitbewohnern gerecht aufteilen will.

    »Und? Was machen die Kinder?« Mama ist versucht, zu sagen: »Sorgen!« Konstantin hat nämlich nicht nur sein Abendstudium, sondern auch die Abende mit Ilona beendet. Nach fünf Jahren blühender Liebe! Wo diese Ilona doch so eine Nette war. Und sie, Mama, jetzt nicht mehr weiß, ob sie sich mit ihr noch zum Shoppen verabreden darf. Ob Ilona noch auf einen Kaffee vorbeikäme, wenn man sie einladen würde. Also nur, wenn Konstantin nicht da ist, versteht sich. Mama möchte unparteiisch bleiben, aber zu ihrem Sohn stehen. Nicht in fremde Kräche hineingezogen, aber auch nicht zwangsläufig mit-geschieden werden. Ihre Freundschaft zu dieser jungen Frau war aufrichtig, warmherzig, wirklich frei von jeglichem »Schwiegermutter in spe«-Getue. Muss sie das jetzt aufgeben, nur weil Sohn Konstantin die Ilona nicht mehr will?

    Papa kommt derweil ein verwegener Gedanke: Wenn das nun einmal so ist, dass infolge moderner Kommunikationstechniken nicht einmal mehr räumliche Distanz wirkliche Abnabelung bedeutet. Wenn das nun mal so ist, dass die Kinder lieber klammern und kletten als kämpfen und krakeelen – warum machen wir und all die schlauen Erziehungswissenschaftler nicht einfach einen beherzten Schnitt und geben das Projekt »Abnabelung« komplett auf?! Verabschieden uns von unseren Vorstellungen, wie sich »Erwachsenwerden« zu vollziehen habe?! Ihre geistige und emotionale Unabhängigkeit, ihre alltagskulturelle und weltanschauliche Eigenständigkeit entwickelt die Generation
Praktikum ja möglicherweise trotz ihrer finanziellen Abhängigkeit von uns. Vielleicht lernen die Jungvögel ja auch dann das Fliegen, wenn wir sie nicht vom Nestrand schubsen, wer weiß? Fassen wir uns ein Herz und gestehen wir ein, dass all unsere Ideale von Emanzipation und Individuation, von Freud’schen Vatermorden und Tabubrüchen, dringend erforderlichen Abschieden und Aufbrüchen zur »Selbstwerdung« vielleicht nur eine historische Zwischenphase waren? Ein zur psychologischen Notwendigkeit erhobener Wunschtraum der Nach-Nazi-Generation, der 68er und der »Emma«-Leserinnen früher Jahre? Unsere Kinder sind ja anders als wir. Aber sie sind anders anders, als wir das von ihnen erwartet haben.

    »Und? Was machen die Kinder?« Eine sozialwissenschaftlich formulierte Antwort müsste jetzt lauten: »Ihr Distinktionsbedürfnis hat sich auf uns, die Eltern, verlagert.« Heißt auf Deutsch: Wir sind es, die sich auch mal abgrenzen müssen. Selbst dann, wenn die jungerwachsenen Kinder nicht mehr zu Hause wohnen, aber mehr oder weniger häufig dort aufkreuzen. Unangekündigt und in unbekannt großer Zahl. Was es für Mama schwierig macht, Essenszeiten und Essensmengen zu kalkulieren. Nein, ob Sohn Klaus die daheim mühsam erworbenen Kenntnisse im Bügeln und Saugen, im preisbewussten Einkaufen und ökologisch korrekten Kompostieren auch in seiner Studentenmansarde anwendet, ist Mama schon lange egal. Aber wie sich ihr Leben hier zu Hause verändern wird, wenn Tochter Karin das erste Enkelchen zur Welt bringt – das treibt sie um. Papa übrigens auch. Dem erzählen seine Wanderfreunde nämlich gerade, dass er gottfroh sein kann, überhaupt
noch Opa zu werden. Schon 25% der nach 1965 geborenen Frauen hätten keine Kinder mehr gekriegt. Bei den nach 1985 geborenen Damen sei die Geburtenrate noch dramatischer gesunken. Deutschland sei Spitzenreiter in Sachen Kinderlosigkeit. Glückwunsch also und alles Gute!

10
UWE UND DAS NEUE ZEITGEFÜHL

    Um ein Wiedersehen mit Uwe bemühte ich mich, nachdem eine Freundin seiner Lebensgefährtin am Telefon beiläufig erwähnt hatte, Uwe sei »ja beim Arzt neulich ausgerastet«. Uwe und ausgerastet? Wir kennen uns nur flüchtig. Er machte vor

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