Altherrensommer
Männer wie Frauen unisono, »Freunde« seien ihnen im Rentenalter noch wichtiger als früher. Das stimmt und kann tagsüber in jedem halbwegs gemütlichen Cafe besichtigt werden. Mal dahingestellt, dass Frauen meist zwei, drei »beste« Freundinnen haben, Männer dagegen achtundzwanzig Bekannte ihre »Freunde« nennen – worüber reden die miteinander? Männer reden über derzeitige Tätigkeiten, Projekte, Dinge, Gegenstände und Anschaffungen. Frauen über derzeitige körperliche Befindlichkeiten, Neuentdeckungen in der Ladenpassage, gemeinsame Bekannte und deren komplexe Beziehungen zueinander. Platz 2 der Themen-Top-Ten betrifft Männer und Frauen gleichermaßen: »Und? Was machen die Kinder?« Selbstverständlich setzt die Frage voraus, dass man es weiß. Die Antwort »Woher soll ich das wissen ? Die sind erwachsen, frag’ sie doch selbst!« wäre ein Affront, eine Blamage, ein Indiz für zerrüttete Verhältnisse.
Ja, die Kinder – man kommt nicht von ihnen los. Das besagen auch Statistiken. 2009 wohnten 3,82 Millionen junge Männer zwischen 18 und 30 noch bei den Eltern oder einem Elternteil. 40 Dieses »noch« ist sowohl eine unterschwellige Ermahnung, sich doch bitte zu beeilen mit dem Erwachsenwerden, als auch eine Beschönigung der realen wirtschaftlichen Lage. »Noch« zu Hause wohnend oder von den Eltern finanziell abhängig zu sein ist das Grundproblem der Generation, die nach 1980 geboren wurde: Leben in der Vorläufigkeit, Leben in der Warteschleife, also in Tätigkeiten oder an Orten, die sich »später gut in der Bewerbung machen«. Später. Wenn »erstmal« das Fachabitur, »erstmal« der Bachelor, »erstmal« das Auslandssemester und dann »erstmal« der Master gemacht sind. Und man dann – »zunächst« zwar mit niedrigem Einstiegsgehalt – anfängt. Aber dann!
25% aller heute Dreißigjährigen haben einen nur kurzzeitig befristeten Arbeitsvertrag, befinden sich in Teilzeit-oder Leih-Arbeit, in einem unbezahlten Praktikum oder in einem studiengebührenpflichtigen Zweit- oder Dritt-Studium. Da wird verständlich, warum die 28jährige Berliner Journalistin Meredith Haaf die Frage »Und, weißt Du schon, wie es danach weitergeht?« zur »Hassfrage« ihrer Generation erklärt. 41 Mama (und erst recht Papa) sollen aufhören, das zu fragen. Ihre Kinder wissen nicht, wie es danach weitergeht. Und die es wissen, wissen nicht, ob es morgen noch stimmt. An Schulen und Universitäten, in Betrieben und Fortbildungseinrichtungen kann es ihnen auch keiner sagen, selbst bei Bestnoten und glänzenden Bescheinigungen nicht. Was Professoren und Personalchefs der »Generation Praktikum« dagegen sehr präzise sagen können, ist, dass
sie nicht länger zögern und unentschlossen bleiben dürfen, wenn sie noch »was werden wollen« im rauen Wettbewerb eines globalisierten Arbeitsmarkts. Aber was wollen sie werden? Wenn sie das wüssten! Vor allem junge Männer seien »Alles-richtig-Macher-und-nichts-richtig-Woller« 42 , klagen manche junge Damen Ende Zwanzig, die insgeheim auf einen Heiratsantrag warten. Aber wenn er in Bremen arbeitet und sie in Leipzig studiert – wie soll das gehen, von dem bisschen Einkommen?
»In diesem unwirtlichen Klima sucht meine Generation ihren Rückhalt bei Familie und Freunden, vor allem aber bei den Eltern, die einem hoffentlich zur Not auch mal unter die Arme greifen. Die einen wieder in die Doppelhaushälfte einziehen lassen oder schön mit einem essen gehen.« 43 Sehnsuchtsort Doppelhaushälfte?! Essen gehen mit Eltern? Wer das nicht glauben mag, sollte am Montagmorgen nach einem langen Feiertags-Wochenende die Facebook-Einträge studentischer Freundeskreise durchklicken. Neben den Fotos wilder Saufgelage in »Lounges« und »Clubs« gibt es auffällig viele Bilder und Berichte von kreuzbiederen Familientafeln voller Sauerbraten, Knödel, Kohlrouladen, Schupfnudeln und Bratkartoffeln mit Speck. Je altmodischer die Gerichte, umso zahlreicher die geposteten »Gefällt mir«-Daumen-hoch der Facebookgemeinde. Garniert mit witzigen Kommentaren – »Wurstsalat ist auch ein Gemüse«, »Mamas gutes Rezept-Plagiat« etc. Eine in retrobraun nachgefärbte Bildergalerie als Beweis der heilen Welt im Schoß der Familie.
Für die Eltern aus der »68er«- oder »Hippie«-Generation waren »Abnabelung«. »Individuation«, »Selbstständigkeit«,
»Unabhängigkeit« und »Traditionsbruch« so hohe Werte, dass sie dafür eine frühestmögliche Nestflucht und lange Jugendjahre
Weitere Kostenlose Bücher