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Altherrensommer

Altherrensommer

Titel: Altherrensommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Malessa
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Jahren den Eindruck eines eher introvertierten Technokraten, der als gelernter Bergbau-Ingenieur den Strukturwandel des Ruhrgebiets mit Hilfe westfälischen Beharrungsvermögens und stiller Schlitzohrigkeit beruflich überlebt hatte. So gut überlebt hatte, dass er von der Steinkohle über das Erdgas schließlich beim Solarstrom gelandet war, im mittleren Management eines Energiekonzerns. Inzwischen bewohne Uwe die Hälfte einer ehemaligen Bauernkate weit draußen am Niederrhein, hieß es. Er habe Stall und Heuboden zu einem schnuckeligen Nest ausgebaut. Wahrscheinlich ist er dann auch privat versichert, denke ich. Roter Teppich zum Gott in Weiß. Warum also ausrasten? Uwe ist 61. Mit 55 wurde er im Rahmen einer »sozialbetrieblichen Anpassungsmaßnahme« nach Hause geschickt. Mit einer Abfindung, die im Freundeskreis als »satt« bezeichnet wurde. Oder als »goldener Spazierstock«, ohne dass jemand die exakte Summe kannte. Wer braucht schon harte Fakten, wenn er weiche Vermutungen hat?

    Als ich wegen anderer Termine in der Region unterwegs bin, endet meine vorgesehene Reise zu Uwe und Saskia vorerst zwischen frisch gepflügten Feldern an einem Durchfahrtsverbot: »Ausgenommen Land- und Forstwirtschaft.« Na toll! Ob die Adresse, auf die ich endlich doch noch zufahre, den letzten Händedruck des Chefs widerspiegelt oder auf Pump erworben wurde – wen juckt’s? Das Häuslein ist wirklich schmuck. »Der ideale Rückzugsort«,
sagt Uwe, als ich herumgeführt werde. »Die Frage ist nur: Rückzug wovon?«, ergänzt Saskia. Draußen wiegen sich die Pappeln im böigen Wind. Wenn der schweigt, hört man Lerchen trillern. »Die kleine Abfindung war, nun ja, eine Art Dankeschön dafür, dass ich mich arbeitsrechtlich nicht bockig stellte oder auf Altersteilzeit bestanden habe. Sie war eine Art Stillhaltegeld dafür, dass ich mich drei Jahre lang nirgendwo sonst bewerbe. Schon gar nicht bei unseren Konkurrenten in der Branche. Im Grunde genommen ein schlechter Witz: Die anderen Energiekonzerne sind doch nicht Rudis Reste-Rampe für Altpersonal. Außerdem wäre ich als technischer Manager mit den rasanten Neuerungen und tausenderlei Software-Updates gar nicht mehr vertraut gewesen. Also hieß es: Ab ins Altenteil.«

    Saskia ist Uwes zweite Frau. Ein Jahr älter als er. Sie kannten sich bereits aus Schulzeiten und »erinnerten sich aneinander«, wie Uwe lachend sagt. »Wenn auch fünfundzwanzig Jahre zu spät«, fügt Saskia hinzu. Lächelt aber charmant bedauernd zu ihm hinüber. Sie haben nicht geheiratet, um Saskias kleine Rente nicht zu verlieren. Das Wort »wilde Ehe«, im Ton moralischer Entrüstung habe sie zuletzt von ihrer Mutter gehört, erzählt Saskia. »Aber die ist ja auch noch regelmäßig nach Kevelaer gepilgert.« Ein katholischer Wallfahrtsort in der Nähe. »Und wenn’s der Kirche ernst wäre mit dem Ehe-Sakrament, müsste die doch erst einmal Druck machen gegen solche schwachsinnigen Rentengesetze, oder?« Das klingt plausibel, ist moraltheologisch wahrscheinlich falsch, aber ich lasse ihre Frage unbeantwortet. Soweit ich mich erinnere, war Uwe immer ein gläubiger Protestant, den seine Kirchengemeinde in den Jahren der Scheidung seelisch aufgefangen hatte.

    »Wenn Du fast drei Jahrzehnte lang jeden Tag ein glasklares Zeit-Korsett hattest, wenn alles, was gemacht werden musste, einen zwingenden Termin hatte; eine innere Zeitfenster-Logik ...« Uwe steht am Schrank und holt Weingläser heraus. Es ist früher Nachmittag und ich muss noch fahren, aber nun gut. »Wenn sogar auf Dienstreisen alles zeitlich strukturiert, im Grunde klar getaktet war ...« Während Uwe in diversen Schubladen des Wohnzimmerschranks nach einem Korkenzieher sucht, verspricht Saskia, in der Küche Fruchtcocktails herzurichten, und geht. »Dann genießt Du am Anfang die unfassbare Freiheit, nichts mehr zu müssen. Urlaub forever. Der Himmel auf Erden. Du tust nur noch, wozu Du Lust hast. Sehr schön, wirklich. Bis Du irgendwann immer weniger Lust hast, was zu tun. Ach da ist er ja!« Uwe hat beides gefunden, den Rotwein und den Korkenzieher, dekantiert die Flasche und atmet das Bouquet ein. »Piemont. Ein Barbera. Aber trocken. Prost.« »Warum hattest Du immer weniger Lust, etwas zu tun?«, frage ich. »Das wusste ich anfangs selbst nicht so genau. Es ist vielleicht blöd und geht vielleicht nur mir so, aber Tätigkeiten, die zwar gemacht werden müssen, aber keine Deadline haben – die nimmst Du nicht so ernst. Verstehst Du: Wenn

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