Altherrensommer
ich eine Arbeit heute oder morgen oder mittags oder abends oder auch übernächste Woche machen kann – dann kann sie soo wichtig ja nicht sein. Die Aufgabe verliert an Wertigkeit, sie sinkt in Deiner Wertschätzung.« »Kann sein, ja«, entgegne ich und bin noch skeptisch. »Kabarettist Wolfgang Neuss hat immer gesagt: Die Tage sind gleich lang, aber unterschiedlich breit. Tätigkeiten gewinnen doch ihren Wert nicht nur aus Zeitdruck bis zum Fertigungstermin, sondern aus Spaß an der Sache, oder?« »So scheint es auf den ersten Blick. Als
Rentner prahlst Du sogar noch damit, nur aus Lust und nicht aus Pflicht zu arbeiten. Tatsächlich aber machst Du das Leichteste zuerst, dann das Angenehme, schließlich das Gewohnte. Aber echte Herausforderungen oder sogar unangenehme, schwierige Arbeiten, die schiebst Du auf den St. Nimmerleinstag.« »Na und? Macht doch nichts«, werfe ich ein. Was ziemlich unsensibel ist, denn genau dies scheint Uwes Problem zu sein. »Eben, eben! Es macht alles nix! Ob Du glänzt oder scheiterst, ist letzten Endes wurscht, es macht wirklich nichts und es bleibt ja auch meistens folgenlos.« »Wenn Du nicht gerade die Gasheizung fehlerhaft installiert hast«, füge ich hinzu und ernte zustimmendes Gelächter, bevor Uwe fortfährt: »Es ist alles nett, es ist alles weder eilig noch wichtig, aber Du machst auch alles mit abnehmendem Spaß an der Freude. Mit zunehmender Langeweile. Im Berufsleben wurde jeder Handschlag dadurch sinnvoll, dass er eine bemessene Frist hatte und dass er Geld brachte. Jetzt gibt’s Zeit bis zum Abwinken, keinen Cent für nix und – die Luft ist raus. Bei mir jedenfalls.«
Saskia kommt mit drei Gläsern Fruchtpunsch auf einem Tablett zurück, macht eine kurze, spöttische Bemerkung über Rotwein am Nachmittag und setzt sich. »Uwe braucht halt Druck,« – er schüttelt dazu heftig den Kopf – »weil er so lange auf Pflichterfüllung geeicht war. Ich muss ihm manchmal sogar das Lustprinzip als Pflicht verkaufen, dann geht’s.« »Und das ist noch die harmloseste Kritik«, erklärt mir Uwe und ändert die Sitzhaltung. »Von den Schlaumeiern in den Ratgeber-Artikeln kriegst Du zu hören, wer als Rentner weiterhin auf die Uhr schaut, habe seine innere Mitte noch nicht gefunden. So ein Quatsch! Als ob ich meine neue Lebenssituation nicht akzeptiert hätte!
Als würde ich noch nach verinnerlichten Maßstäben der Berufswelt handeln.« Wenn ich ehrlich bin, hatte ich das vorhin gedacht.«Dabei ist es doch ganz einfach: Leistung ist definiert als ›Arbeit-in-der-Zeit‹. Wenn Du für Deine Arbeit aber undefiniert viel Zeit hast, verliert die Leistung an Wert. Einer Tätigkeit Bedeutung oder Wichtigkeit verleihen – das musst Du immer selber. Ich nenne Dir einen Vergleich: Früher, als ich Kind war, hatten der Samstag und der Sonntag traditionell eine klare, immer gleiche Struktur. Samstag tagsüber wurde geputzt, Samstagabend der mannshohe Badeofen angeheizt. Die Familienmitglieder stiegen nacheinander in die Wanne, die Erwachsenen versammelten sich vor dem einzigen Fernsehprogramm zur Samstagabendshow in schwarzweiß.« »Peter Frankenfeld im karierten Jackett«, werfe ich ein. Uwe nickt: »Am Sonntag zog man die Sonntagskleidung an, ging in den Sonntagsgottesdienst, aß mittags Sonntagsbraten, machte ein Nickerchen und anschließend einen Sonntagsspaziergang. Dass man schon am Donnerstag die möglichst amüsante Gestaltung eines Wochenendes von Freitagnachmittag bis Sonntagabend zeitlich planen müsse – das wäre meinen Eltern nie in den Sinn gekommen. Das alles hat sich mit der Flexibilisierung der Arbeitszeiten und den veränderten Freizeitgewohnheiten geändert. Ob jemand am Samstag arbeitet oder schläft, ob er am Sonntag in die Kirche oder ins Möbelhaus geht, das ist jedermanns freie Wahl. ›Alles kann, nichts muss‹ heißt der tolle tolerante Spruch dazu und der ist Unsinn!« Uwe muss Luft holen, greift nach dem Glas. »Alles muss plötzlich gut begründet werden. Ob wir diese Freunde einladen oder jene besuchen, ob die Fahrräder repariert oder die Kellerräume entrümpelt werden, ob wir in Kinos und Konzertsäle sprinten oder zum Bücherlesen
daheimbleiben – nichts ergibt sich mehr von selbst, aus äußeren Zwängen und Pflichten oder einer womöglich spießigen Tradition heraus. Wenn aber alles Deine freie Entscheidung ist, bist Du auch ganz alleine dafür verantwortlich, dass sie plausibel ist und sich hinterher als die richtige herausstellt. Und
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