Altoetting
nicht so klein wie er scheint, viel größer ist der und kann noch wachsen . . . in der Fassung, die du jetzt da vom Manuel bekommen hast, ist das alles völlig falsch. . . ja wegen dem Mutschler, dem Zeiler und dem Granz, weil alle drei waren nicht die Begabtesten, musst du wissen, was Schauspielerei jetzt anbetrifft. . . also der Zeiler, ich kann dir sagen, der hatte einen Sprachfehler allerhöchster Güte. . . der kann eigentlich nur komische Rollen spielen . . . Verzeihung, konnte, weil jetzt. . . Gott hab ihn selig . . . ja der ist jetzt ja auch schon tot, der Zeiler, und der Granz erst. . . der konnte sich keinen Text merken, ums Verrecken nicht, eine eigene Souffleuse – die Cramer Anni – ist allein für den Granz da gewesen . . . und der Mutschler, unberechenbar. . . ja der war ein guter Posaunist, der beste in Altötting, aber schauspielern. . . nenene das konnte der nicht. . . ständige Fehlbetonungen . . . das war in der Schultheatergruppe schon so . . . alle drei waren da eine Katastrophe, ich kann mich noch erinnern, ich glaub Ionescos Der König stirbt war das . . . der Mutschler als König war quasi eine permanente Brecht’sche Verfremdung, ein einziger Fremdkörper. . . der Granz als Arzt. . . da war die einzige Möglichkeit der Trick mit dem Alzheimer, so hat dann der Niederbühler – damals noch Spielleiter und Studienrat der Grund- und Hauptschule – die Textunsicherheit vom Granz zum Stilmittel erhoben . . . und der Zeiler. . . stell dir vor. . . der war lispelnd die Margarete, weil Mädchenknappheit. . . kein Wunder, mit solchen Trotteln wollte auch niemand spielen außer die Annegret, die die Maria gespielt hat, aber. . . na ja, andere Geschichte . . . obwohl das eine ziemliche Gaudi gewesen war. . . ja gelacht wurde da viel, deshalb hab ich ja auch die Wache gespielt. . . frag nicht. . . aber zurück zum Judas . . . also zwangsläufig . . . der Text vom Judas musste immer mehr zusammengestrichen werden auf das Nötigste eben, das war die einzige Chance. . . du weißt doch, Striche kann man wieder aufmachen. . . kein Problem . . . aus den paar Sätzen machen wir große Monologe . . . außerdem könntest du ja auch noch den Pilatus spielen . . . den Barabbas und . . .«
»Den Jesus!«, entwich es Plotek. Die Abreise hat er jetzt völlig vergessen. Was ihn da jetzt geritten hat, war ganz und gar unverständlich, auch für Plotek selbst, weil die Schauspielerei war eigentlich passe. Vielleicht wollte er nur die fremde Unverschämtheit mit der eigenen kontern. Also den 25 unmöglichen Judas-Worten mit der unmöglichsten Forderung begegnen, quasi den Statistenpart mit der Hauptrolle austreiben, also alles oder nichts.
Plotek hat nach dem Wasserglas von Arno gegriffen und dann einen Teelöffel Kopfschmerzpulver hineingeschüttet.
Die Reaktion von Arno war wie erwartet.
»Aber den spielt ja schon der Mengele, der Sparkassendirektor!«
»Na und!«, hat Plotek gesagt und das Wasser mit dem Kopfschmerzpulver hinuntergekippt. Scheußlich hat das geschmeckt, bitter, wie ganz ekliger Hustensaft.
»Der Sparkassendirektor Mengele ist der Schwager vom Fremdenverkehrsdirektor Zeller«, hat Arno Plotek zu bedenken gegeben, »und ich glaube nicht, dass der das zulässt. Und vor allem, wer soll dann den Judas spielen?«
»Mir egal!«
Das war wieder typisch Plotek. Die altbekannte Verweigerungshaltung hat er jetzt wieder herausgekehrt. Natürlich hat Plotek auch gemerkt, dass Arno die Felle wegschwimmen. Arno war in den Augen von Plotek praktisch am Ende. Plotek hatte Oberwasser. Das einzige Problem war, dass die Verträge unterschrieben waren, aber wo nichts ist, kann man nichts holen. Außerdem ist so ein Vertragsbruch unwichtig, entscheidend sind die Passionsspiele, weil die für Arno und ganz Altötting existenziell sind. Plotek ist im Prinzip gutmütig, manchmal ist er sogar zu gutmütig, das grenzt dann fast schon an Lethargie. Aber wenn Plotek merkt, dass seine Gutmütigkeit ausgenützt wird, dann frag nicht. Dann wird er zum Tier. Nicht aggressiv und wütend und alles, nein, nein, eher im Gegenteil, ganz ruhig, aber knallhart kalkulierend und schneidend wie ein Rasiermesser. Dann ist da nichts mehr mit Kompromiss, kein ausgewogenes Diskutieren, These, Antithese und dann Einigung irgendwo dazwischen. Ne, da kann Plotek nur noch fordern, und entweder wird das erfüllt oder »ciao«. Von da an lässt er nicht mehr mit sich reden, da ist er stur wie ein Esel. Da kommt der väterliche Dickschädel
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